Krank arbeiten gehen – geht gar nicht
Die AK Wien präsentierte heute die Ergebnisse einer großen Online-Befragung zum Präsentismus „Wenn man krank arbeiten geht“ und fordert einen Kündigungsschutz für kranke Arbeitnehmer:innen ein!
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Kranke Arbeitnehmer:innen sollen sich daheim in Ruhe auskurieren können. Corona hat kurzfristig zur Sensibilisierung beigetragen – denn wer krank arbeiten geht, schadet nicht nur sich selbst, sondern steckt im schlimmsten Fall auch seine Kolleg:innen oder Kund:innen an.
Aber Beschäftigte gehen nicht etwa aus Nachlässigkeit krank arbeiten, sondern weil sie unter enormem Druck stehen: Entweder direkt durch die Arbeitgeber:innen oder weil eine Vertretung fehlt, die während des Krankenstandes die Arbeiten übernehmen könnte. Das macht es für Arbeitnehmer:innen oft schwierig, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen, um ganz gesund zu werden.
Alarmierende Ergebnisse: 90 Prozent gehen krank in die Arbeit
Um mehr über die Probleme zu erfahren, mit denen Arbeitnehmer:innen bei diesem Thema konfrontiert sind, wurde von der AK Wien eine Online-Befragung durchgeführt. Die Ergebnisse sind alarmierend: 90 % der Befragten gehen krank in die Arbeit. Die Hälfte der Befragten wird im Krankenstand von Vorgesetzten kontaktiert. Außerdem hat sich gezeigt, dass Präsentismus im Hotel- und Gastgewerbe und im Handel besonders ausgeprägt ist – also in jenen Branchen, in denen es oft Probleme mit den Arbeitsbedingungen gibt. Im Krankenstand gekündigt wird am häufigsten im Hotel- und Gastgewerbe, gefolgt von Transport und Verkehr. Insgesamt lässt die Befragung den Schluss zu, dass viele Arbeitnehmer:innen den reibungslosen Ablauf im Betrieb und ihre Jobsicherheit über ihre Gesundheit stellen.
Ines Stilling, Bereichsleiterin Soziales der AK Wien: „Der Druck in der Arbeitswelt nimmt stetig zu – das wird auch durch die Ergebnisse unserer Online-Befragung bestätigt. 9 von 10 Arbeitnehmer:innen gehen krank arbeiten. Damit ist der Präsentismus für Beschäftigte die Regel, statt die Ausnahme.“
Sind Sie schon einmal krank in die Arbeit gegangen?
Besonders alarmierend: Neun von zehn Arbeitnehmer:innen sind bereits einmal krank in die Arbeit gegangen – Präsentismus ist damit in der Arbeitswelt Regel, statt Ausnahme. Das hat negative Folgen für die eigene und auch für die Gesundheit der Kolleg:innen und Kund:innen. Traurige Spitzenreiter der Branchen, in denen Beschäftigte krank arbeiten gehen müssen, sind mit je 96 % der Handel (das bestätigte auch eine kürzlich präsentierte Studie von WIFO und IFES zur Situation der Handelsbeschäftigten) und das Hotel- und Gastgewerbe. Auf Platz 3 folgt das Gesundheitswesen. Viele Beschäftigte in diesen Branchen haben Kontakt zu Kund:innen, was das etwaige Ansteckungsrisiko für diese erhöht.
Trotz Erkältungssymptomen in die Arbeit gehen bejahen fast die Hälfte der Befragten (47 %). Weitere 39 % gaben an, dass sie einen Corona-Test machen würden und – falls dieser mit nachgewiesen ausfällt – in die Arbeit gehen würden. Nur 13 % gaben an, dass sie bei Erkältungssymptomen nicht arbeiten würden. Erschreckend: Im Hotel- und Gastgewerbe gehen zwei Drittel der Beschäftigten mit einer Erkältung jedenfalls in die Arbeit, auch ohne einen Corona-Test zu machen.
Gründe warum Arbeitnehmer:innen krank in die Arbeit gingen
Der häufigste Grund, krank arbeiten zu gehen (61 %) ist, die Kolleg:innen nicht im Stich lassen zu wollen. Auch der zweithäufigste Grund bezieht sich auf die Kolleg:innen, die die Arbeit alleine kaum schaffen würden. Beides weist auf den Druck hin, der in vielen Betrieben herrscht.
Ines Stilling dazu: „Arbeitnehmer:innen übernehmen damit ein hohes Maß an Verantwortung, um den Betrieb nicht zu gefährden – eine Verantwortung, die eigentlich bei den Unternehmen liegt. Hier sind die Unternehmen gefordert, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass kranke Arbeitnehmer:innen in Ruhe gesund werden können.“
An dritter Stelle folgt, dass Terminarbeit liegen bleiben würde oder es unaufschiebbare Termine gibt. Auch der vierte Grund – keine Vertretung zu haben – geht in diese Richtung. Jede:r vierte Arbeitnehmer:in hat schließlich Angst, den Job zu verlieren und ist deshalb krank in die Arbeit gegangen.
Mehr Schutz vor Jobverlust im Krankenstand
Ludwig Dvořák, Bereichsleiter Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz der AK Wien: „Krankenstände werfen einige arbeitsrechtliche Fragen auf und gehören zu den ‘Dauerbrennern‘ in der AK Arbeitsrechtsberatung. Alleine 2022 hat die Arbeitsrechtsabteilung der AK Wien 635 Beratungen zu den Themen Krankenstand und Entgeltfortzahlung durchgeführt. Vielfach fehlen auch die richtigen Informationen über Rechte und Pflichten im Krankenstand – besonders in Unternehmen ohne Betriebsrat. Aus Sicht der AK wäre ein Kündigungsschutz im Krankenstand ein wirksames Instrument, um zu gewährleisten, dass Arbeitnehmer:innen sich nicht gezwungen sehen, krank arbeiten zu gehen.“
Die AK fordert:
- Einen Kündigungsschutz im Krankenstand (Kündigung im Krankenstand soll als verbotenes Motiv angefochten werden können)
- Eine gesetzliche Regelung, wonach Zeitausgleich während eines Krankenstandes nicht konsumiert werden kann (analog zum Urlaub)
- Homeoffice darf von Arbeitgeber:innen nicht dafür missbraucht werden, ihre Beschäftigten anzuweisen, von daheim aus krank zu arbeiten.
Hintergrund der Online-Befragung
Die Befragung war im Oktober 2022 auf der Seite der Arbeiterkammer Wien aufrufbar und wurde über soziale Medien beworben. Insgesamt haben 7.412 Personen die Befragung angeklickt, 6.506 Arbeitnehmer:innen haben die Fragen vollständig ausgefüllt. Die Ergebnisse sind zwar nicht im statistischen Sinn repräsentativ, liefern aber trotzdem wertvolle Informationen zu den Gründen, warum Arbeitnehmer:innen im Krankenstand arbeiten gehen.
Zum Livestream der Pressekonferenz:
AK Wien