30 Jahre ArbeitnehmerInnenschutzgesetz: Ein Grund zum Feiern?
Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) feiert seinen 30. Geburtstag. Wie hat sich der Arbeitnehmer:innenschutz seither verändert? Was konnte verbessert werden? Wie steht es aktuell um die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten in den Betrieben? Und worauf muss der Blick in Zukunft vermehrt gerichtet werden?
Vor 30 Jahren, genauer gesagt am 17. Juni 1994, wurde das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz kundgemacht, um Missstände im Sicherheits- und Gesundheitsschutz von Arbeitnehmer:innen zu bekämpfen und ein sicheres sowie gesundes Arbeitsumfeld für die Beschäftigten zu schaffen.
ASchG verbesserte die Arbeitsbedingungen
Seither hat sich vieles verändert. Es konnten zahlreiche Verbesserungen für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen erreicht werden, vor allem auch deshalb, weil durch das Gesetz erstmals Arbeitgeber:innen in die Pflicht genommen wurden, von sich aus in Angelegenheiten des Arbeitnehmer:innenschutzes Verantwortung zu übernehmen und initiativ zu werden. Dies wurde etwa durch die Verpflichtung zur Arbeitsplatzevaluierung sowie zur Information und Unterweisung der Arbeitnehmer:innen über Gefahren und anzuwendende Schutzmaßnahmen im Betrieb erreicht.
Neue Risiken und Herausforderungen
Die Arbeitswelt hat sich seither stark verändert. Bestimmte Risiken und Gefahren im Bereich der Mensch-Maschine-Beziehung haben an Relevanz verloren, andere hingegen, wie etwa die psychischen Gefahren am Arbeitsplatz, haben zugenommen. Dem wurde insofern Rechnung getragen, als 2013 die Verpflichtung zur Evaluierung psychischer Belastungen im Betrieb gesetzlich festgeschrieben wurde. Gleich wichtig geblieben sind allerdings die ergonomischen Risiken, beispielsweise durch sich wiederholende Bewegungen, das Bewegen schwerer Lasten oder langes Verharren in starren Positionen (Stehen oder Sitzen).
Die Arbeitsbedingungen haben sich infolge der Einführung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes in vielen Betrieben stark verbessert. Die Arbeitsunfälle sind seither stark zurückgegangen: Die Unfallquote ist von fünf Prozent (im Jahr 1995) auf 2,7 Prozent (2023) gesunken. Auch bei den tödlichen Arbeitsunfällen brachte der gesetzlich verankerte Arbeitnehmer:innenschutz einen Rückgang von 304 tödlichen Arbeitsunfällen (1995) auf 114 im Jahr 2023 (Quelle: Fehlzeitenreport 2024, WIFO). Bei den Berufskrankheiten ist ein leichter Rückgang in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnen (bis zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie). Bei den Krankenständen ist in den letzten beiden Jahren ein Anstieg der Krankenstandstage zu verzeichnen: 2022 waren es durchschnittlich 14,0 Krankenstandstage pro Arbeitnehmer:in (um 24,6 Prozent mehr als 2021) und 2023 stieg diese Zahl sogar auf 15,4 Krankenstandstage pro Arbeitnehmer:in an. Atemwegserkrankungen zählen gemeinsam mit den Muskel-Skelett-Erkrankungen zu den häufigsten Ursachen für einen Krankenstand. Die psychischen Erkrankungen sind geprägt von einer langen Krankenstandsdauer und machen rund 10 Prozent aller Krankenstandstage aus.
Wichtig ist, diese Zahlen auch unter dem Phänomen des „Präsentismus“ zu betrachten, also dem Zur-Arbeit-Gehen trotz Krankheit. Dies kommt einerseits in den systemrelevanten Berufen häufig vor, wo akuter Arbeitskräftemangel herrscht, andererseits wird Präsentismus auch durch den vermehrten Homeoffice-Einsatz begünstigt, da die Entscheidung, krank zu arbeiten, von zu Hause aus einfacher ist, da man nicht Gefahr laufen kann, Kolleg:innen anzustecken.
Wieso der Arbeitnehmer:innenschutz auch heute noch ein so wichtiges Thema ist, zeigt zudem die folgende Statistik: In Österreich sind laut Statistik Austria rund 3,7 Millionen Erwerbstätige am Arbeitsplatz zumindest einem körperlichen und/oder psychischen Risikofaktor ausgesetzt. Das entspricht rund 86,4 Prozent aller Erwerbstätigen – 80 Prozent sind einem körperlichen und 60 Prozent zumindest einem psychischen Risikofaktor ausgesetzt. Nach wie vor sind der arbeitsbedingte Krebs und die in diesem Bereich fehlenden risikobasierten Grenzwerte für krebserzeugende Arbeitsstoffe sowie arbeitsbedingte Muskel- und Skelett-Erkrankungen ungelöste Probleme im Arbeitnehmer:innenschutz. Hinzu kommt die stetige Zunahme psychischer Gefahren am Arbeitsplatz und nicht zuletzt stellen aktuelle Entwicklungen, wie beispielsweise die Klimakrise und die zunehmende Hitze am Arbeitsplatz, Gewalt sowie die Digitalisierung, den Arbeitnehmer:innenschutz vor neue Herausforderungen.
Neue Regelungen notwendig
Um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer:innen in den Betrieben zu verbessern, braucht es verpflichtende Regelungen, betont Wolfgang Katzian, Präsident des ÖGB: „Ohne Gesetze und Verordnungen bewegen sich die meisten Arbeitgeber wenig bis gar nicht. Es braucht also klare gesetzliche Vorgaben, deren Einhaltung systematisch kontrolliert und deren Nichteinhaltung sanktioniert wird, sowie beratende Überzeugungsarbeit, die den Nutzen des Arbeitnehmer:innenschutzes auch Arbeitgeber:innen verdeutlicht.“
Anna Ritzberger-Moser, Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, weist darauf hin, dass es neben der Einführung von gesetzlichen Regelungen vor allem darum geht, diese Regelungen auch durchzusetzen: „Es ist wichtig, dass die Arbeitsinspektion funktioniert, dass sie präsent ist, dass sie kontrolliert und berät, dass sie auch dort, wo es notwendig ist, mit Sanktionen agiert.“
Arbeitnehmer:innenschutz heute
Wie es heute um den Arbeitnehmer:innenschutz steht, untersuchte die aktuelle Studie „Arbeitnehmer:innenschutz in Österreich: Eine Bestandsaufnahme – mit Zukunft“ der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), durchgeführt im Auftrag der Arbeiterkammer Wien mit Unterstützung des ÖGB. Das Ergebnis ist ernüchternd: Der psychische und körperliche Sicherheits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist weiterhin mangelhaft. Viele Arbeitgeber:innen sind hinsichtlich der Implementierung bzw. Umsetzung von Bestimmungen des ASchG säumig. 30 Prozent der Betriebe gestalten die Arbeit (eher) nicht so, dass sie bis zur Pensionierung der Beschäftigten von diesen sicher und gesund ausgeführt werden kann. In fast 30 Prozent der Betriebe findet keine regelmäßige Ermittlung der körperlichen und psychischen Belastungen statt, und damit werden auch keine Schutzmaßnahmen für die Arbeitnehmer:innen gesetzt. Bei Betrieben mit 21 bis 50 Beschäftigten liegt dieser Anteil sogar bei rund 40 Prozent. In 79 Prozent der Betriebe, die Homeoffice ermöglichen, wird keine Evaluierung der Homeoffice-Arbeitsplätze durchgeführt. Was die Studie jedoch auch deutlich zeigt, ist, dass bei guter Einbindung des Betriebsrats in betriebliche Organisations- und Entscheidungsabläufe die Umsetzung des ASchG insgesamt besser funktioniert und eher wirksame Maßnahmen mit Blick auf Hitze, Digitalisierung und Gewalt am Arbeitsplatz gesetzt werden.
Prävention zahlt sich aus
Gemäß einer 2020 veröffentlichten WIFO-Studie verursachten Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen im Jahr 2015 Gesamtkosten von etwa 9,9 Mrd. Euro. Davon werden 8,1 Mrd. Euro (82 %) durch arbeitsbedingte Erkrankungen verursacht, 1,8 Mrd. Euro (18 %) entfallen auf Arbeitsunfälle. Hinzu kommt, dass sich die Zahl der Krankenstandstage infolge psychischer Erkrankungen von 1994 bis 2023 verfünffacht hat. Diese Zahlen machen klar: Es braucht mehr präventive Maßnahmen, damit es gar nicht erst zu arbeitsbedingten Erkrankungen oder Unfällen kommt. Durch die Arbeitsplatzevaluierung können Risiken und Gefahren sichtbar gemacht und, daraus abgeleitet, geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden – sowohl im körperlichen als auch psychischen Bereich.
Voraussetzung für eine erfolgreiche und umfangreiche Prävention ist ein Umdenken sowie eine bessere Sensibilisierung der Arbeitgeber:innen, wie Karl Hochgatterer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin, betont: „Es ist notwendig, die Systeme arbeitsmedizinischen Handelns und die Perspektiven der Präventionsarbeit in die Köpfe der Managerinnen und Manager zu bringen. Es soll klar sein, dass es sich bei Prävention um ein Gesamtsystem handelt und daher die Präventivkräfte bei Veränderungen an Arbeitsplätzen, bei Arbeitsstoffen, Arbeitsmitteln und bei Arbeitsstätten insgesamt selbstverständlich und ohne nachzudenken miteinbezogen werden müssen.“ Wichtig ist hierbei auch, dass es bei Prävention nicht nur um die körperliche Gesundheit der Beschäftigten geht, sondern auch um die psychische, die vor allem in Zeiten des zunehmenden Arbeitsstresses und erhöhter Arbeitsverdichtung belastet wird.
Zudem muss das Thema Prävention zukünftig vermehrt unter dem Aspekt des ständigen Wandels betrachtet werden. „Gerade bei Veränderungen in der Arbeitswelt mit zunehmender Arbeitsverdichtung spielt Prävention eine zentrale Rolle“, so ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.
Zukunftsperspektiven
Trotz all der Errungenschaften der Vergangenheit der letzten Jahrzehnte gibt es im Arbeitnehmer:innenschutz noch viel Luft nach oben. Aufgrund der sich ständig verändernden Arbeitswelt, neuer Arbeitsbedingungen und neuer Herausforderungen im Arbeitnehmer:innenschutz braucht es kontinuierliche Verbesserungen sowie gesetzliche Adaptierungen und Ergänzungen. Zu den in Zukunft wichtigsten Handlungsfeldern im Arbeitnehmer:innenschutz zählen Klimakrise und Hitze am Arbeitsplatz, Digitalisierung (inklusive künstliche Intelligenz, Robotik, hybrides und mobiles Arbeiten) sowie psychische Gefahren, Gewalt, Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz. Arbeiterkammer und Gewerkschaften setzen sich dafür ein, den Arbeitnehmer:innenschutz ständig weiterzuentwickeln, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer:innen auch in Zukunft bestmöglich zu schützen. Auf die folgenden Forderungen legen Arbeiterkammer und Gewerkschaften in Zukunft einen speziellen Fokus.
Das fordern Arbeiterkammer und Gewerkschaften im Arbeitnehmer:innenschutz:
- Arbeits- und Organisationspsycholog:innen als gleichwertige Präventivfachkräfte im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz verankern
- Sicherheits- und Gesundheitsschutz für die Psyche gewährleisten
- Mehr Ressourcen für eine leistungsfähige Arbeitsinspektion
- Manuelle Handhabung von Lasten wirksam regeln
- Verbindliche, risikobasierte Grenzwerte für krebserzeugende Arbeitsstoffe sowie gesundheitsbasierte Grenzwerte für Arbeitsstoffe, bei welchen eine sichere Schwelle gegeben ist, festlegen
- Abgestufte Schutzmaßnahmen ab 25 °C in Innenräumen und bei Arbeiten im Freien. In letzter Konsequenz muss es bezahlt Hitzefrei ab 30 °C geben!
Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 3/2024