Gesundheit und Sicherheit als bürokratische Last?
Infolge der Krisen der letzten Jahre haben sowohl Arbeitnehmer:innen als auch Unternehmen mit gestiegenen Ausgaben zu kämpfen. Die Europäische Kommission hat daher Initiativen für die Entlastung von Unternehmen gesetzt. Auf der Beschäftigtenseite sind keine ähnlich gelagerten Initiativen in Sicht.
Ganz im Gegenteil: Die weiteren geplanten Entlastungen für Unternehmen könnten auf Kosten der Beschäftigten gehen. Bereits Ende 2023 hat die Europäische Kommission die Mitteilung „Entlastungspaket für Klein- und Mittelunternehmen“ vorgelegt. Darin verweist sie auf unnötige Verwaltungslasten, die reduziert werden könnten, und auf die Möglichkeit, die Anzahl neuer Gesetze zu begrenzen.
EU-Kommission: Vorrang für Unternehmen
Das klingt nur so lange gut, bis man liest, was die Kommission unter „Verwaltungslasten“ versteht: So werden z. B. Berichtspflichten infrage gestellt, die unter anderem für Kollektivvertragsverhandlungen eine wichtige Grundlage sein können.
Der „One in, one out“-Vorschlag sieht vor, die Anzahl von EU-Gesetzen zu begrenzen, indem für jedes neue Gesetz ein bereits bestehendes gestrichen werden soll. Dieser vorgeschlagene Mechanismus kann sich – vor allem angesichts der Machtverhältnisse auf EU-Ebene, wo unternehmensnahe Parteien dominieren – sehr negativ auswirken. Es besteht die Gefahr, dass wichtige Gesetze, beispielsweise im Arbeitnehmer:innenschutz, „geopfert“ werden, wenn ein anderes neues EU-Gesetz eingeführt wird. Wesentlich konstruktiver wäre aus Sicht der AK, EU-Gesetze laufend auf ihre Aktualität und ihren Nutzen zu prüfen und diese Regelungen nur im Falle eines negativen Ergebnisses dieser Evaluierung zu streichen. Mit der „One in, one out“-Maßnahme droht nun ein Kahlschlag – ausgerechnet bei jenen Regeln, die so wichtig für den Arbeitnehmer:innenschutz sind.
Schutz vor Asbest als reine Verwaltungslast?
In einem Bericht zu Verwaltungslasten wird die EU-Kommission sogar noch deutlicher: So bezeichnet sie eine neue Richtlinie, die verhindern soll, dass Beschäftigte dem massiv krebserregenden Stoff Asbest ungeschützt ausgesetzt werden, als „Verwaltungslast“. Dabei bezieht sie sich nur auf die Kosten für Schutzmaßnahmen und bewertet den Nutzen mit null Euro. Diese Aussage ist nicht nachvollziehbar: Der Nutzen dieser Regelung besteht natürlich in der Verhinderung von Erkrankungen infolge der Wirkungen von Asbest. Letztlich ist dies nicht nur für die Arbeitnehmer:innen essenziell, sondern spart auch dem Gesundheitswesen hohe Kosten.
Die EU-Kommission sorgt mit ihrer neuen Haltung für Verwunderung: Schließlich handelt es sich bei Regelungen wie der Asbest-Richtlinie um Initiativen, die sie selbst eingebracht hat. Wenn sie nun zum Resultat kommt, dass dieses EU-Gesetz keinen Nutzen hat, muss die Frage erlaubt sein, ob die Kommission nun auf einem Auge blind geworden ist und nur noch Unternehmensinteressen vertritt. Regelungen zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Beschäftigten müssen immer Vorrang haben.
Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 3/2024