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„Der Reformstau gehört aufgelöst!“

Von 1987 bis zu seiner kürzlich erfolgten Pensionierung war Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz SEIN Thema. Als Interessenvertreter der Arbeitnehmer:innen verhandelte Alexander Heider das heutige ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) samt vieler seiner Durchführungsverordnungen maßgeblich mit. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes sprach er mit Gesunde Arbeit und zog Bilanz.

„Ein Gesetz ohne engmaschige Kontrollen und Strafen ist völlig zahnlos und verkommt zu einer unverbindlichen Empfehlung. Mehr Schärfe ist hier gefragt.“ Markus Zahradnik

30 Jahre ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – ein Anlass zu feiern?
Ein klares Ja. Das Gesetz war ein großer Schritt nach vorne – für die Betriebe, die Arbeitnehmer:innen und auch die Volkswirtschaft. Als Ergebnis intensiver Sozialpartnerverhandlungen wurde das ASchG am 25. Mai 1994 vom Nationalrat beschlossen. In der Debatte resümierte Günter Stummvoll, zu jener Zeit Generalsekretär der WKÖ: „Heute sagen wir Ja, weil es in diesem Gesetz tatsächlich um Gesundheitsvorsorge und nicht um Bürokratie und Schikane geht!“ Die damalige AK-Präsidentin Eleonora Hostasch sprach von einem „zähen Ringen der Arbeitnehmerinteressenvertretungen“ und von einem „Meilenstein“. Rückblickend war das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz jedenfalls ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Gesundheit in der Arbeitswelt.

Brachte die EU mit den entsprechenden Richtlinien mehr Sicherheit und Gesundheit für die Arbeitnehmer:innen?
Ja. Der Turbo wurde gezündet: Im Zeitraum 1995 bis 1998 wurden 17 neue Durchführungsverordnungen zum ASchG aus dem Boden gestampft. Die Arbeitsunfälle sind um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung ab 50 Arbeitnehmer:innen ist in den Betrieben heute weitgehend etabliert und „AUVAsicher“ betreut viele Kleinbetriebe. 2013 wurde zudem klargestellt, dass Arbeitsbelastungen sowohl den Körper als auch die Psyche betreffen.

Markus Zahradnik

 


Welche Neuerungen haben in der betrieblichen Praxis die höchste Wirksamkeit entfaltet? Und wo sind die Erwartungen nicht erfüllt worden?

Kernstück ist die Arbeitsplatzevaluierung. Die Realität offenbart aber eine deutliche Kluft zwischen Anspruch und Umsetzung der Evaluierungsverpflichtung. Die erweiterte Beteiligung von Betriebsräten und Sicherheitsvertrauenspersonen zeigt Wirkung. Klar ist: Ein Gesetz ohne engmaschige Kontrollen und Strafen ist völlig zahnlos und verkommt zu einer unverbindlichen Empfehlung. Mehr Schärfe ist hier gefragt.

Welchen größten Gesundheitsrisiken sind aus deiner Sicht die Arbeitnehmer:innen heute am Arbeitsplatz ausgesetzt? Was ist anders als früher? Was muss man angehen?

Stress und Burn-out sind zum zentralen Problem der Leistungsgesellschaft geworden. Heute fühlen sich immer mehr Arbeitnehmer:innen ausgequetscht wie eine Zitrone. Ihre Arbeit laugt sie aus. Übermäßige Anforderungen stehen unseren natürlichen Leistungsgrenzen entgegen. Da geht es nicht um „Null-Belastung“, sondern um ein adäquates Maß, damit Arbeit langfristig gesund erhält. Passen aber Anforderungen und Ressourcen nicht zusammen, erreicht die Arbeitsintensität ein unmenschliches Maß. Daher mein Fazit: Nutzen wir arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, gestalten wir die Arbeit menschengerecht, verkürzen wir auch die Arbeitszeit und sorgen wir so für bessere Arbeitsbedingungen.

Markus Zahradnik

 

Welche Rolle kommt der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften dabei zu?
Treffend formulierte das einmal der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie, Rudolf Nürnberger (siehe ÖGB-Nachrichtendienst 2/2740): „Der Arbeitnehmerschutz hat für uns Gewerkschafter den gleichen Stellenwert wie die Kollektivvertragspolitik.“ Arbeiterkammern und Gewerkschaften treten gemeinsam für eine menschengerechte, gesunde und sichere Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsumgebung und der Arbeitsorganisation ein. Dieses Ziel wird am besten durch Gesetze, Verordnungen, Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen erreicht. Gesunde Arbeit muss an arbeitswissenschaftlichen Kriterien gemessen werden. Es ist und bleibt ein ständiges Ringen um bessere Arbeitsbedingungen gegen mächtige Lobbyisten.

Was sind aktuell aus deiner Sicht die größten Herausforderungen für den Arbeitnehmer:innenschutz?
Der Reformstau der letzten 20 Jahre gehört aufgelöst. Beispielsweise haben wir keine gesundheitsbasierten Grenzwerte für gesundheitsschädigende Arbeitsstoffe, es fehlen konkrete Regelungen für die manuelle Handhabung von Lasten, die Einbindung von Arbeits- und Organisationspsycholog:innen ist sehr lückenhaft, die Arbeitsinspektion – sowieso mit weniger Personal, als die ILO erlaubt – wurde weiter zusammengeschrumpft und die sommerliche Hitzebelastung bei Arbeiten im Freien und in Innenräumen ist unerträglich geworden. Länder wie Deutschland sind uns weit voraus. Das ASchG und seine Verordnungen sollen aber arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse widerspiegeln.
Große Herausforderungen sind auch die zunehmende Beschleunigung, die steigende Komplexität und die fast völlige Undurchschaubarkeit der Abläufe. Das wächst sich zu einer giftigen Mixtur für die Psyche der Betroffenen aus. Das Szenario löst Unbehagen, Unsicherheit und Ängste aus. Die Arbeitnehmer:innen müssen vielmehr unterstützt und mitgenommen werden.

Dein Wunsch für die Zukunft?
Konservativen und pessimistischen Kräften schreibe ich ins Stammbuch: Euer ewiges Gejammere und Klagen, die Wirtschaft gehe den Bach herunter, hat – wenn es sie je gab – ihre Glaubwürdigkeit bereits vor Jahrzehnten verloren. Mit Mut, Kraft und Gestaltungswillen lässt sich viel Positives bewegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 3/2024