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Exoskelette – ein unaufhaltbarer Hype?

Die enorme Vielfalt der in der Arbeitswelt auftauchenden mechanischen Assistenzsysteme oder auch Exoskelette stellt im Hinblick auf die Beurteilung der ergonomischen Wirksamkeit und der Gefährdungen in der Praxis oft eine Herausforderung dar.

Exoskelette reduzieren die auf den Körper einwirkenden Kräfte nicht, diese werden lediglich auf andere Körperregionen umverteilt.
Exoskelette reduzieren die auf den Körper einwirkenden Kräfte nicht, diese werden lediglich auf andere Körperregionen umverteilt. Norbert Lechner

Exoskelette werden in der medizinischen Rehabilitation schon länger eingesetzt, etwa um Rückenmarksverletzten das Gehen wieder zu ermöglichen. Das Interesse an den Assistenzsystemen steigt seit Neuestem auch an gewerblichen Arbeitsplätzen. Dort sollen sie unter anderem bei Hebetätigkeiten, bei Arbeiten in Zwangshaltungen oder Überkopfarbeit unterstützen. Die biomechanische Wirksamkeit in der betrieblichen Praxis ist und wird allerdings nie ganz geklärt sein – zu unterschiedlich sind die Systeme, zu komplex die Bewegungen im Arbeitsalltag.

Aktive und passive Antriebssysteme

Aktive Exoskelette verfügen über eine Stromversorgung und unterstützen AnwenderInnen durch pneumatische Antriebe und Motoren. Passive funktionieren dagegen mittels Feder- und Dämpfersystemen. In der Arbeitswelt kommen hauptsächlich passive Systeme zum Einsatz. Zu erwähnen ist zudem, dass Exoskelette die auf den Körper einwirkenden Kräfte nicht reduzieren, sondern nur auf andere Körperregionen umverteilen.

Exoskelette auf dem Prüfstand

Eine Studie aus dem Gerüstbau zeigt, dass passive Exoskelette aufgrund der Komplexität der Hebetätigkeiten keine Entlastung im unteren Rücken erzielen – vor allem bei geradlinigen „falschen“ Hebevorgängen ist die Entlastung durch Exoskelette gering. Bei einer weiteren Studie aus dem Bereich der Logistik stellte man ebenfalls fest, dass nur beim ersten Teil des Hebevorgangs eine 14,89-prozentige Entlastung in Muskelgruppen des unteren Rückens durch das untersuchte Exoskelett stattfand. Sobald aus den Armen gehoben wurde, gab es keinen Effekt mehr.

Wie implementiert man das richtige System?

  • Maßnahmen zuerst in technischer, dann in organisatorischer und persönlicher Hinsicht setzen
  • Tätigkeits- und Bewegungsanalyse durchführen
  • Auswahl des passenden Systems inklusive Nutzungsanalyse
  • Erfassung biometrischer Daten (Sauerstoffverbrauch, Arbeitsherzfrequenz …), um tatsächliche Beanspruchungsreduktion zu erfassen

Status quo

Die Hersteller industrieller Exoskelette versprechen meist signifikante Reduktionen der physischen Beanspruchung. Oft stammen diese Daten aus Studien mit kleiner Studienpopulation, kontrollierten Laborbedingungen und gesunden, meist jungen ProbandInnen. Die Arbeitswelt hält jedoch alle Altersgruppen bereit und Vorerkrankungen sind keine Seltenheit. Obwohl diese Studien dadurch keine endgültigen Aussagen über die Effekte industrieller Exoskelette zulassen, liefern sie erste Hinweise über ihre Wirksamkeit und Einsatzmöglichkeiten.

Betriebe wollen zwar innovativ sein und glauben, mit dem Einsatz eines Exoskeletts das Problem der physischen Belastung zu lösen – erste Erfahrungen zeigen uns, dass dies meistens nicht der Fall ist. Abschließend hervorzuheben ist, dass Exoskelette keinesfalls als persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu sehen sind.

Magazin Gesunde Arbeit 3/2022