Arbeitsmedizin vor großen Herausforderungen
Der Arbeitsmediziner und hauptberufliche Leiter des Arbeitsmedizinischen Zentrums Perg, DDr. Karl Hochgatterer, M.Sc., ist seit Anfang 2021 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin (ÖGA). Für ihn steht die Arbeitsmedizin in Österreich vor großen Herausforderungen.
Der Facharzt für Arbeitsmedizin und hauptberufliche Leiter des Arbeitsmedizinischen Zentrums Perg, DDr. Karl Hochgatterer, M.Sc., trat mit Anfang 2021 die Präsidentschaft in der etablierten Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin (ÖGA) an. Gleichzeitig ist er seit Oktober 2019 Präsident der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention (AAMP) – die marktbeherrschende arbeitsmedizinische Ausbildungsstätte in Österreich. Damit steht erstmals seit vielen Jahren wieder eine Person beiden Organisationen vor. „Gesunde Arbeit“ fragt nach, wie es mit der Arbeitsmedizin weitergeht.
Welche wichtigsten Herausforderungen gehen Sie an?
Am Beginn meiner Funktion als AAMP-Präsident stand die Formulierung eines neuen, zeitgemäßen Berufsbildes ArbeitsmedizinerIn, das den Beruf als attraktives Aufgabengebiet darstellt. Dieses Berufsbild wurde im vergangenen Jahr publiziert und bildet eine wesentliche Grundlage für eines der wichtigsten Ziele überhaupt: die Erhöhung des Images der Arbeitsmedizin als herausfordernde, interdisziplinäre Tätigkeit. Aufgrund der demografischen Entwicklung brauchen wir nämlich unbedingt zahlreichen arbeitsmedizinischen Nachwuchs.
Weiters ist vor Kurzem ein Buch mit dem Titel „Basiswissen Arbeitsmedizin“ erschienen, welches das Standardwerk für die arbeitsmedizinische Ausbildung in Österreich werden soll. Qualitätssicherung bei arbeitsmedizinischen Ausbildungseinrichtungen ist mir nämlich ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Und schließlich möchte ich auch die Basis dafür schaffen, dass geschultes arbeitsmedizinisches Fachpersonal zu einer strukturellen Entlastung der ArbeitsmedizinerInnen beiträgt.
Wie kann das Image der Arbeitsmedizin verbessert werden?
Professionelle Öffentlichkeitsarbeit ist erforderlich, um die MedizinerInnen für das Fach zu gewinnen. Uns schwebt ein zielgruppenorientiertes PR-Konzept vor, das auch langfristig und nachhaltig wirksam wird. Und wir brauchen wissenschaftliche Leuchttürme! Die Schaffung eines Bewusstseins, dass es ohne Förderung der universitären Arbeitsmedizin, z. B. durch Einrichtung von Arbeitsmedizin-Instituten an allen Medizin-Universitäten, nicht gelingen kann, ein aktuell gehaltenes wissenschaftliches Fundament zu legen.
Die Corona-Krisenzeit fordert uns alle. Wo hilft da die Arbeitsmedizin?
Mit Ausnahme von Gesundheitseinrichtungen sind ArbeitsmedizinerInnen die einzigen ExpertInnen in den Unternehmen, die dem Management und den Beschäftigten als Ansprechpersonen in allen Fragen rund um die Corona-Pandemie unmittelbar und niederschwellig zur Verfügung stehen. Die präventivmedizinische Beratungskompetenz der ArbeitsmedizinerInnen ist hier noch mehr gefordert als sonst, weil häufig Ängste bestehen und leider „Fake News“ viel an Unsicherheiten auslösen. Aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses zum Arzt/zur Ärztin im Betrieb kommt den ArbeitsmedizinerInnen hier eine wichtige Informations- und Kommunikationsrolle zu. Durch die Einbindung in Teststrategien und in die Impfkampagne können ArbeitsmedizinerInnen eine zentrale Rolle für große Teile der Bevölkerung im Setting Arbeit einnehmen.
Die ÖGA hat naheliegenderweise das 22. Wiener Forum Arbeitsmedizin im April 2021 unter das Motto „Arbeitsmedizin in Zeiten der Pandemie“ gestellt und bei dieser Veranstaltung allen KollegInnen fundierte Fachinformationen gegeben.
Kommt dann nicht der ArbeitnehmerInnenschutz mit den mageren Mindesteinsatzzeiten zu kurz?
In besonderen Zeiten wie diesen erkennen Unternehmen, dass eine kompetente arbeitsmedizinische Betreuung wesentlich für das Funktionieren des betrieblichen Alltags ist. Die aktuelle Pandemie ist nun einmal das bestimmende Gesundheitsthema und die Anstrengungen gegen ihre Ausbreitung stehen verständlicherweise im Fokus. Ich erlebe in den von mir betreuten Betrieben durchwegs, dass Zeitlimits im Moment kein großes Thema sind. Dort, wo arbeitsmedizinische Expertise benötigt wird, wird sie auch angefragt, und wir sind angehalten, akut auftretende Aufgabenstellungen auch unmittelbar zu bearbeiten.
Was können ArbeitsmedizinerInnen in den Betrieben zur EU-Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – Entlasten Dich!“ beitragen?
Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates sind nach wie vor sehr häufig. ArbeitsmedizinerInnen verfügen über Kenntnisse in Ergonomie, das heißt in der menschengerechten Gestaltung von Arbeit und Arbeitsplätzen. Dieses Wissen um die Gesundheitsschäden und deren Verhütung können ArbeitsmedizinerInnen zur fundierten Beratung sowohl der betroffenen Menschen als auch in die Arbeitsgestaltung im Betrieb einbringen. Die Beratung berücksichtigt damit verhältnis- und verhaltenspräventive Aspekte.
Wo soll die Arbeitsmedizin in fünf Jahren stehen?
Ich würde gerne in fünf Jahren zurückblicken und feststellen, dass es uns gelungen ist, eine ausreichende Zahl an MedizinerInnen für den Beruf begeistert und ausgebildet zu haben. Um diese Entwicklung als nachhaltig bezeichnen zu können, möchte ich dann auch das Licht von mindestens drei Leuchttürmen an den Medizin-Universitäten Österreichs leuchten sehen.
Interview: Alexander Heider, AK Wien
Magazin Gesunde Arbeit 2/2021