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Altern in Betrieben managen

Alternsgerechte Arbeitsgestaltung setzt nicht erst bei den Beschäftigten 50 plus ein, sondern sollte als umfassender Prozess alle Generationen und das gesamte Unternehmen miteinbeziehen.

Michael Mazohl, ÖGB-Verlag

Die österreichische Bevölkerungspyramide ist durch Geburtenrückgang und die gestiegene Lebenserwartung längst zur Urne geworden. Und selbst wenn sie sich infolge starker Zuwanderung vielleicht nicht so rasch wie erwartet weiter verändern wird, der Anteil älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt wird steigen – auch wegen des späteren Pensionsantrittsalters.

Ältere ArbeitnehmerInnen sind langsam, häufig krank, technologiefeindliche Innovationsbremsen, die alles besser wissen und nur noch die Pension im Fokus haben. So weit die Vorurteile. Tatsache ist: Zuverlässigkeit und Beständigkeit haben auch in der heutigen Berufswelt noch ihren Wert und Schnelligkeit ist nicht das Maß aller Dinge. Außerdem: Wir alle altern praktisch permanent, rund ein Drittel aller Dreißigjährigen hat bereits einen (meist symptomfreien) Bandscheibenvorfall, denn die optimale Versorgung der Bandscheiben endet quasi mit der Pubertät. Lang andauernde, schwere Arbeit kann in keinem Alter als Training für den Muskelaufbau betrachtet werden, sondern wirkt langfristig als Belastung, die irreparable Dauerschäden hervorruft.

Gesunde Arbeit

Vor(ur)teile

Die geistige Leistungsfähigkeit bleibt deutlich länger bestehen. Nicht zuletzt daraus ergeben sich so manche Vorteile älterer Beschäftigter:

  • Eigenverantwortliches und selbstständiges Arbeiten
  • Urteilsfähigkeit, Lebens- und Berufserfahrung
  • Loyalität und Zuverlässigkeit sind oft höher als bei Jüngeren. Das Risiko von Leistungseinbußen nach „anstrengenden“ Wochenenden ist gering.
  • Längerfristige Betriebszugehörigkeit kann eingeplant werden, Investitionen in Weiterbildung lohnen sich.

„Vorurteile schaden dem Betriebsklima, der Gesundheit und Leistungsfähigkeit“, weiß Hildegard Weinke, Sicherheits- und Gesundheitsexpertin der AK Wien. „Hier ist die Vorbildwirkung von Management und Führungskräften entscheidend. Sie sollten durchmischte Teams aus Überzeugung fördern und sich für gegenseitigen Respekt und Verständnis einsetzen.“

„Die Älteren“ sind keineswegs eine homogene Gruppe. Die Unterschiede bezüglich Arbeitsfähigkeit sind hier zum Teil größer als bei Jüngeren. Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Alter hängen von zahlreichen Faktoren ab – vom Arbeitsplatz und dessen Gestaltung, dem persönlichen Lebensstil und der Veranlagung.

Alternsgerechte Arbeitsgestaltung ist in Österreich derzeit hauptsächlich in Produktionsbetrieben sowie im Dienstleistungsbereich bei der Pflege ein Thema. Hier sind die körperlichen Belastungen offensichtlich. Doch auch Bildschirmarbeit oder langes Stehen schaden mit den Jahren der Gesundheit. Zusätzlich spielen psychische Belastungen eine entscheidende Rolle. Stress, hohes Arbeitstempo und schlechtes Arbeitsklima verschlimmern körperliche Beschwerden.

Im Übrigen sind ältere Beschäftigte zwar nicht öfter krank als jüngere, aber länger arbeitsunfähig. Mit durchschnittlich 21,4 Tagen pro Krankenstand fehlen 60- bis 64-Jährige fast viermal länger als unter 25-Jährige (5,8 Tage).

Länger leistungsfähig

Von alternsgerechten Arbeitsbedingungen für alle Altersgruppen profitieren sämtliche Beteiligten. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, sollten entsprechende Prozesse von der Führungsetage tatkräftig unterstützt werden und sich nicht auf punktuelle, kurzfristige Aktionen beschränken. Nachhaltiges Gesundheitsmanagement und gezielte Gesundheitsförderung ermöglichen unter anderem, dass Jüngere und Ältere ihre Kompetenzen und ihre Grenzen besser kennen und entsprechend handeln können. Zusätzlich gilt es, das Potenzial älterer Personen stärker und länger zu fördern und zu nutzen. Am Anfang eines umfassenden Altersmanagements steht die Altersstrukturanalyse. In der Regel empfiehlt sich die Unterstützung von ExpertInnen (Arbeits- und OrganisationspsychologInnen, AUVA etc.). Unerlässlich ist die Beteiligung der ArbeitnehmerInnen als ExpertInnen für ihren Arbeitsplatz.

1. Schritt: Altersstrukturanalyse
Damit werden die aktuellen Altersstrukturdaten für die Beschäftigten insgesamt erfasst, gegebenenfalls auch für einzelne Organisationseinheiten oder Beschäftigtengruppen. Außerdem kann auf der Basis bestimmter Annahmen zur Personalentwicklung eine Prognose der zukünftigen Altersstruktur erstellt werden. Kleinere Unternehmen brauchen für eine Altersstrukturanalyse keine spezielle Software, unter Umständen reicht auch eine Excel-Tabelle. Tools für eine Altersstrukturanalyse bzw. einen Altersstruktur-Check finden sich auch im Netz: www.arbeitsinspektion.gv.atwww.eval.atwww.gesundearbeit.at usw.

2. Schritt: Besonders belastende Tätigkeiten (für Ältere) identifizieren

  • Arbeitsplätze, die nur einen winzigen Ausschnitt aus dem gesamten Produktions- oder Dienstleistungskreislauf zum Inhalt haben.
  • Monotone Tätigkeiten
  • Starre quantitative Leistungsnormen (ohne Berücksichtigung qualitativer Aspekte!)
  • Belastende Arbeitszeitgestaltung (Nachtarbeit, Schichtarbeit mit wechselndem Dienstbeginn)
  • Zeitdruck, hohes Arbeitstempo, Vorgabe eines Arbeitstempos bei taktgebundenem Arbeiten
  • Häufiger Temperaturwechsel (z. B. bei Arbeiten im Kühlbereich bzw. in Hitzezonen)
  • Belastende Körperhaltungen (Häufiges Verdrehen der Wirbelsäule, Hände über den Kopf heben u. ä.)
  • Arbeiten mit gesundheitsbeeinträchtigenden Arbeitsstoffen
  • Allgemeine organisatorische Mängel wie unklare Arbeitsvorgaben, fehlende Einschulung, unzureichende Arbeitsmittel etc.
  • Isoliertes Arbeiten ohne Kontakt zu KollegInnen

3. Schritt: Alternsgerechte Arbeitsgestaltung
Hier werden häufig vier Handlungsfelder unterschieden: Arbeitsorganisation, Gesundheit, Qualifikation und Führung. Prinzipiell lassen sich in altersgemischten Teams Erfahrung, Gründlichkeit, Organisationstalent und Zuverlässigkeit älterer Beschäftigter optimal einsetzen, etwa in den Bereichen Ausbildung und/oder Beratung besonders schwieriger KundInnen/KlientInnen etc.

Für die optimale Arbeitsorganisation entscheidend sind möglichst große Handlungsautonomie sowie Abwechslung bei den Arbeitsaufgaben:

  • Wechsel zwischen geistigen und körperlichen Belastungen, zwischen belastenden und weniger belastenden Tätigkeiten
  • Information über eine und Etablierung einer gesundheitserhaltenden Pausenkultur inkl. Kurzpausen
  • Alternsgerechte Schichtplangestaltung
  • Flexible Arbeitszeitmodelle

Gesundheit: Länger zu arbeiten bedeutet längere Einwirkungen von belastenden und/oder von förderlichen Arbeitsbedingungen. Dementsprechend sollten Unternehmen physische und psychische Belastungen auch schon für junge Beschäftigte so gering wie möglich halten. Folgende Möglichkeiten sind in jedem Alter sinnvoll, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten:

  • Hebe- und Tragehilfen
  • Lüftungs- und Abschattungssysteme
  • Ergonomische Positionierung von Geräten
  • Lärmreduktion durch schalldämmende Elemente
  • Gute Ausleuchtung des Arbeitsplatzes
  • Stärkere akustische und optische Signale bei Kontrolltätigkeiten
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement nach längeren Krankenständen

Tipps zum Handlungsfeld Qualifikation:

  • Jüngere lernen von Älteren und umgekehrt
  • Gezielte Weiterbildungsmaßnahmen für alle Altersgruppen
  • Langfristige alternssensible Laufbahngestaltung
  • Ermutigung zum Lernen in jedem Alter unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lernzugänge verschiedener Generationen

Führung: Die Vorbildwirkung von Führungskräften beim täglichen, respektvollen Umgang miteinander ist von entscheidender Bedeutung. Außerdem wichtig: lebensphasenorientierte MitarbeiterInnengespräche, konstruktives Fehlermanagement sowie Anerkennung und Wertschätzung. Ingrid Reifinger, ÖGB-Expertin für ArbeitnehmerInnenschutz: „Die Wahrscheinlichkeit besserer Arbeitsbewältigung wird durch Wertschätzung seitens der Führungskräfte doppelt so stark erhöht wie durch mehr Sport.“

Philipp Sells

Lebensphasenorientierte Arbeitsgestaltung (LOA) bei der gespag

Die Oberösterreichische Gesundheits- und Spitals-AG (gespag) betreibt sechs Krankenhäuser und hat mehr als 8.000 Beschäftigte an insgesamt acht Standorten. Das Projekt LOA startete bereits 2005 mit entsprechender Bewusstseinsbildung auf der Führungsebene. 2008 wurde LOA als strategischer Schwerpunkt verankert. Danach wurden gemeinsam mit VertreterInnen aller Alters- und Berufsgruppen, Hierarchieebenen und Standorte Workshops durchgeführt, Vorschläge und Maßnahmen erarbeitet. So entstand unter anderem das Gesundheitsförderungsprogramm „geh mit“, das Angebote mit lebensphasenorientierten Schwerpunkten aus den Bereichen Bewegung, Ernährung, seelische Gesundheit (z. B. „Aufrecht bis ins hohe Alter – Natürliche Hormone in der zweiten Lebenshälfte"; „Fit und munter zum richtigen Zeitpunkt – Selbstcoaching bei Nachtarbeit und Turnusdiensten“) inkludiert. Die Teilnahme ist zum Teil auch für Angehörige möglich. Außerdem gibt es im Rahmen von LOA Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Betriebstagesmütter, Sommerkinderbetreuung etc.), ein verbessertes Kommunikations- und Informationsangebot sowie gezielte lebensphasenorientierte Personalentwicklung.