Zum Hauptinhalt wechseln

Alternsgerechte Arbeit

Die Lebenserwartung steigt, trotzdem unterliegt unsere Gesellschaft dem Jugendkult.

Die steigende Lebenserwartung – kombiniert mit einer Abnahme der Geburtenrate – verändert die altersspezifische Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Es wird in naher Zukunft deutlich mehr ältere als jüngere Menschen in unserer Gesellschaft geben, wir sprechen in diesem Zusammenhang von der „kippenden Alterspyramide“. Die Gründe dafür sind vielfältig:

  • Gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Industriestaaten
  • Errungenschaften der Medizin und der Wissenschaften
  • Verbesserungen in der Gesundheitssicherung
  • Verbesserungen in der Arbeitswelt durch veränderte Arbeitszeiten und bessere ergonomische Arbeitsbedingungen
  • Ende des Babybooms in der Nachkriegszeit und der so genannte Pillenknick
  • Späterer Berufseinstieg durch längere Ausbildung

Betrachtet man die Gründe genauer, sieht man, dass es sich nicht um ein unbeeinflussbares Phänomen handelt. Nein, diese Entwicklung wurde von uns angestrebt: Unsere Gesellschaft hatte und hat zum Ziel, die Lebenserwartung ihrer Mitglieder zu steigern. Heute aber, wo die Erfolge dieser Anstrengungen sichtbar werden, wird die Altersverteilung zum Ausgangspunkt für verschiedenste bedrohliche Szenarien. Das Gefühl, dass uns diese Entwicklung von heute auf morgen überrumpelt, macht sich breit. 

Warum freuen wir uns nicht, und warum erzeugt diese demografische Veränderung tatsächlich Probleme? Einer der Gründe dafür ist, dass wir dem Jugendkult unterliegen. Das verhindert zum einen, entsprechende Reaktionen auf unsere eigene Errungenschaft, nämlich die steigende Lebenserwartung zu setzen. So ist beispielweise der Arbeitsmarkt, aber auch die Arbeitsorganisation in den meisten Betrieben jugendzentriert. Zum anderen bewirkt die Orientierung an der Jugendlichkeit auch die Ausgrenzung und Abstempelung von allen, die nicht jung sind: Ältere werden stigmatisiert und diskriminiert.

Belegschaften in den österreichischen Betrieben werden älter 

Eine diskriminierende Haltung älteren Arbeitnehmer:innen gegenüber wird in Zukunft besonders für Unternehmen erhebliche Probleme schaffen, denn die Belegschaften werden insgesamt älter. Die 45-Jährigen werden in wenigen Jahren zur größten Arbeitnehmer:innengruppe werden. 

Strukturwandel und Innovationsfähigkeit, eine notwendige Voraussetzung für gesundes Wachstum von Unternehmen, werden demnach in Zukunft mit älteren Arbeitnehmer:innen bewältigt werden. Auch die österreichischen Betriebe werden sich gezielt mit der Veränderung der Altersstruktur der Belegschaften auseinandersetzen müssen oder tun es im besseren Fall bereits. 

Menschen länger in Beschäftigung zu halten, ist ein erklärtes Ziel der Sozialpartner und der Bundesregierung, einerseits durch die Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters andererseits durch Maßnahmen wie „Reha vor Pension“, die durch die Abschaffung der befristeten Invaliditätspension für unter 50jährige zum Ausdruck kommt. 

Viele Betriebe sind auf diese Veränderungen in der Altersstruktur nicht vorbereitet, weil durch die gängige Praxis des frühzeitigen „Hinausstellens“ Älterer zu wenig Erfahrung mit der Förderung von Arbeitsfähigkeit bis ins höhere Erwerbsalter gesammelt wurde. 

Das Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (ISW) hat im Auftrag der AK OÖ im Herbst 2012 eine Befragung unter oberösterreichischen Betriebsratsvorsitzenden zum Thema „Erhalt der Arbeitsfähigkeit“ durchgeführt. 63 Prozent der Befragten sagten, dass die Arbeitsbedingungen im Betrieb die Gesundheit der KollegInnen stark belastet. Besonders in jenen Betrieben, in denen körperlich schwer gearbeitet wird und in denen die Arbeitszeitregelungen gesundheitlich belastend sind, sehen die Betriebsratsmitglieder oft wenig Chance für ihre Kolleg:innen bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter durchhalten zu können. Ein gezieltes Alter(n)smanagement im Sinne einer Gesamtstrategie um mit Alter und Altern produktiv umzugehen, gibt es nur in jedem zehnten Betrieb. Als häufigster Grund für Untätigkeit wird von den Belegschaftsvertreter:innen mangelndes Problembewusstsein (des Managements) angegeben (M. Specht, R. Haider, J. Braun, Ergebnisse der ISW Betriebsrätebefragung 2012 – Arbeitsfähigkeit älterer Beschäftigter erhalten. In: WISO Nr.4/12, S. 103-117). Eine empirische Studie in Deutschland kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Knut Tullius u.a., Perspektiven alter(n)sgerechter Betriebs- und Tarifpolitik. In: WSI-Mitteilungen 2/2012, S. 113-123). 

Berücksichtigung des Alters bei der Arbeitsplatzevaluierung nach dem ASchG 

Das mächtigste Instrument in der Prävention auf der betrieblichen Ebene stellt die Arbeitsplatzevaluierung nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz dar. Es verpflichtet Arbeitgeber:innen, bei dieser Evaluierung unter anderem auch das Alter der Arbeitnehmer:innen zu berücksichtigen und entsprechende Maßnahmen zu setzen. In der betrieblichen Praxis wird diese gesetzliche Bestimmung zumeist nicht beachtet. Das wurde dem ÖGB bei der bundesweiten Aussprache der Leiter:innen der Arbeitsinspektorate mit den Interessenvertretungen im September 2012 bestätigt. 

Der Papiererzeuger, Norske Skog in Bruck an der Mur zeigt vor, dass es auch anders gehen kann (siehe dazu arbeitundalter.at, Betriebliche Beispiele). 

Alle Arbeitsplätze wurden in diesem Unternehmen auf belastende Tätigkeiten überprüft, und zwar auf

  • Körperlich anstrengende Arbeiten
  • Häufiges Heben und Tragen von Lasten pro Schicht und Arbeitstag
  • Häufiges Einnehmen von Zwangshaltungen pro Schicht und Arbeitstag
  • Lärm
  • Schlechtes Licht und/oder schlechte Sicht
  • Hitze
  • Hohe Arbeitsanforderungen/Leistungsvorgaben
  • Zeitdruck
  • Kurzzyklische und gleichförmige Betätigungen
  • Soziale Beeinträchtigungen
  • Daueraufmerksamkeit und Stress
  • Nachtarbeit und Schichtarbeit

Dadurch wurde eine systematische Einschätzung des Risikos der einzelnen Arbeitsplätze möglich, die einen Ausgangspunkt für zahlreiche arbeitsplatz- aber auch verhaltensbezogene Maßnahmen bei Norske Skog darstellt. Denn: Treten diese belastenden Arbeitsbedingungen auf, dann besteht aus arbeitswissenschaftlicher Sicht nur eine begrenzte Tätigkeitsdauer, diese Arbeit kann nicht bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter ausgeübt werden. Je früher diese Bewertung in einem Betrieb gemacht wird, desto mehr Zeit bleibt, um entsprechende Maßnahmen wie Umschulungsmaßnahmen usw. zu setzen.

Alternsmanagement als wirksame Präventionsmaßnahme 

Um die Arbeitsfähigkeit von Arbeitnehmer:innen auf der betrieblichen Ebene präventiv zu fördern, braucht es einen integrierten, systematischen Managementansatz. Altern und Arbeitsfähigkeit im Betrieb müssen in alle Entscheidungen des Unternehmens integriert werden. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Alter(n)smanagement oder Age Management. Dazu sind auf der betrieblichen Ebene Maßnahmen in folgenden sechs Handlungsfeldern notwendig: 

Personalpolitik: Personalplanung und -entwicklung, Durchführung von Analysen betreffend Altersstruktur und Qualifikationsstruktur, alterssensible Laufbahngestaltung, Jobrotation, altersgemischte Teams 

Arbeitsorganisation: Bewertung der Arbeitsplätze auf besonders belastende Tätigkeiten für Ältere, Erstellung von Arbeitsplatzlandkarten aufgrund der Belastungsbewertung, Änderung der Aufgabenzuschnitte, altersdifferenzierte Leistungsanforderungen 

Arbeitszeitgestaltung: Gezielte Pausenkultur und Pausengestaltung zur Regeneration, Schichtplangestaltung, Sabbatical-Angebote

Gesundheit – Arbeitnehmer:innenschutz: ergonomische Arbeitsplatzgestaltung z.B. durch Hebe- und Tragehilfen, Arbeitsbewältigungs-Coachings, Maßnahmen zur Reduktion der psychischen Belastungen

Qualifizierung, Weiterbildung, lebenslanges Lernen: Systematische Nutzung des Erfahrungswissens von älteren Mitarbeiter:innen für Jüngere oder Berufseinsteiger:innen durch Mentoring-Systeme: Erfahrene mit weniger Erfahrenen oder Tandemsysteme alt-jung (Lehren und Lernen), Qualifizierung für neue Tätigkeiten

Führung, Organisationskultur: Die Führungskräfte mit ihren Einstellungen und daraus resultierendem Verhalten prägen wesentlich die Organisationskultur eines Unternehmens – auch wie „Alter“ und „altern“ im Unternehmen gesehen wird. Untersuchungen zeigen, dass Vorgesetzte einen sehr großen Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit von älteren Arbeitnehmer:innen haben. Deshalb: Sensibilisierung von Führungskräften, um Alter und Altern als Umbauprozess zu sehen sowie Stärken, die mit dem jeweiligen Alter verbunden sind; Anwendung von Führungsinstrumenten wie alter(n)ssensible, lebensphasenorientierte Mitarbeiter:innengespräche und anerkennender Erfahrungsaustausch

Ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Gelingen von Alter(n)smanagement auf betrieblicher Ebene ist vernetzt mit Arbeitsmediziner:innen, Sicherheitsfachkräften und Arbeits- und Organisationspsycholog:innen sowie anderen Expert:innen die umfassende Information, Beteiligung und Einbeziehung von Betriebsrät:innen und Arbeitnehmer:innen in diesen Prozess. Arbeitnehmer:innen sind Expert:innen ihres Arbeitsplatzes und kennen die Belastungen ihrer Arbeit sehr gut. In der Praxis erprobte Instrumente, wie z. B. Gesundheitszirkel, stehen dabei auch über die qualitätsgesicherte Betriebliche Gesundheitsförderung zur Verfügung.

Auf betrieblicher Ebene werden Betriebsräte und Personalvertretungen ihre Mitbestimmungsrechte im Arbeitnehmer:innenschutz offensiv nutzen müssen, um insbesondere Älteren eine Chance zu geben. Hier wäre vor allem das Beteiligungsrecht für Belegschaftsvertretungen bei der Arbeitsplatzevaluierung nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu nennen. Seit 1. Jänner 2013 ist auch die verpflichtende Evaluierung der arbeitsbezogenen psychischen Belastungen durch Arbeitgeber:innen vorzunehmen.

Erfolgsfaktoren für alternsgerechtes Arbeiten auf der betrieblichen Ebene 

Ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Gelingen von Alter(n)smanagement auf betrieblicher Ebene ist, vernetzt mit Arbeitsmediziner:innen, Sicherheitsfachkräften und Arbeits- und Organisationspsycholog:innen sowie anderen Expert:innen die umfassende Information, Beteiligung und Einbeziehung von Betriebsrät:innen und Arbeitnehmer:innen in diesen Prozess. In der Praxis erprobte Instrumente, wie z.B. Gesundheitszirkel, stehen dabei auch über die qualitätsgesicherte Betriebliche Gesundheitsförderung zur Verfügung.

Alternsgerechtes Arbeiten auf sozialpolitischer Ebene 

Auf sozialpolitischer Ebene wurde durch das Arbeit und Gesundheit-Gesetz (AGG) ein kostenloses Serviceangebot für Unternehmen geschaffen – Fit2work – Betriebliches Eingliederungsmanagement für Unternehmen – das allen Betrieben in Österreich offensteht. Ziel der Beratung ist es, Unternehmen, die z. B. hohe Krankenstände aufweisen, zu beraten, wie sie Arbeitnehmer:innen wieder erfolgreich in den laufenden Arbeitsprozess des Betriebs integrieren können. Ein weiterer Schritt muss bei auffälligen Krankenstandszahlen eines Betriebs eine verpflichtende Beratung durch die AUVA sein, wie dies die Sozialpartner schon beim Bad Ischler Dialog 2011 gefordert haben. 
Eine weitere offene Forderung auf sozialpolitischer Ebene ist die Wiedereinführung eines Bonus-Malus-Systems, das die Beschäftigung Älterer fördern soll. 

Weiterführende Informationen finden Sie in der Broschüre „Ältere Arbeitnehmer:innen: Das verborgene Gold in Unternehmen“. Dort finden Sie auch eine Checkliste zum Thema „Ist mein Unternehmen alternsgerecht?“ 

Linktipps 

arbeitundalter.at: alternsgerechte Arbeitsorganisation - umfangreiche Informationen auf der gemeinsamen Webseite der Sozialpartner, enthält Beschreibungen betrieblicher Umsetzungsbeispiele und Erfahrungen aus der Praxis 
www.nestorgold.at: das Gütesiegel des BMASK für Unternehmen und Organisationen, die die Potentiale und Bedürfnisse ihrer älteren Mitarbeiter:innen sowie den Dialog zwischen den Generationen fördern und sich einem speziellen Zertifizierungsprozess unterziehen 
www.fit2work.at: ein Informations- und Beratungsangebot für Personen und Betriebe zum Verbleib bzw. zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess 
www.arbeitsinspektion.gv.at: bietet umfassende Informationen auch zum Thema alter(n)sgerechte Arbeitswelt 

Was ist altersgerecht? 

Arbeitsbedingungen sind altersgerecht, wenn sie die besonderen Anforderungen und Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer:innen – etwa bei Arbeitsumgebung, Arbeitszeitgestaltung oder auch Leistungsanforderungen – berücksichtigen. 

Was ist alternsgerecht? 

Arbeitsbedingungen sind alternsgerecht, wenn sie über das ganze Berufsleben hinweg so gestaltet sind, dass keine Spätfolgen der Arbeit auftreten und die Arbeitnehmer:innen gesund, motiviert und produktiv die Pension erreichen und diese auch gesund erleben können.