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Digitale Arbeit sicher und gesund gestalten

Die Digitalisierung durchdringt immer mehr Bereiche der Arbeitswelt. Dies bringt wie alle neuen Entwicklungen Chancen und Risiken mit sich. Die Digitalisierung der Arbeitsplätze ist gestaltbar: Durch die Arbeitsplatzevaluierung, daraus abgeleitete Schutzmaßnahmen, Weiterbildung und vor allem durch die Mitbestimmung der Beschäftigten ist menschengerechte Arbeit möglich.

Markus Zahradnik

Digitalisierte Arbeitsplätze, ortsunabhängiges Arbeiten, automatisierte Prozesse und Aufgaben, maschinengesteuerte Produktion, App-basierte Arbeit, hybride Meetinglösungen, der Einsatz künstlicher Intelligenz – kaum ein Arbeitsplatz ist heutzutage nicht in der einen oder anderen Art und Weise von der Digitalisierung betroffen. Digitale Arbeit birgt sowohl Chancen als auch Risiken.

Chancen und Risiken

Zu den möglichen Chancen digitaler Arbeit zählen unter anderem positive gesundheitliche Auswirkungen (z. B. körperliche Entlastung durch ergonomische Arbeitsplätze, erleichterte Lastenhandhabung), die Teilhabe an der Arbeitswelt (z. B. Inklusion von mobil eingeschränkten Personen oder Menschen mit Behinderung) sowie ein sichereres Arbeitsumfeld durch die Automatisierung sich wiederholender, arbeitsintensiver und mit Gefahren behafteter Tätigkeiten. Neben diesen Chancen birgt digitale Arbeit aber auch zahlreiche Risiken, wie beispielsweise Technikzentriertheit, Entfremdung von Kolleg:innen durch weniger persönliche Treffen, Entgrenzung der Arbeit (Verschmelzung von Berufs- und Privatleben, ständige Erreichbarkeit), Datenschutz, digitale Überwachung, Jobverlust, unklare Zuordnungen, Kontrollverlust, negative gesundheitliche Auswirkungen (sowohl physisch als auch psychisch), fehlende Teilhabe an der Wertschöpfung, negative gesellschaftliche Auswirkungen (z. B. Isolation, Vereinsamung bei Crowdwork, Zukunftsunsicherheiten) und Entsolidarisierung.

„Digi-Sorgen“ der Beschäftigten

Einige dieser Risiken der Digitalisierung spiegeln sich auch in den Sorgen der Arbeitnehmer:innen wider. Ihre Sorgen rund um die voranschreitende Digitalisierung in der Arbeitswelt wurden Ende 2022 in einer IFES-Umfrage zu diesem Thema erhoben. Die größte Sorge ist demnach jene nach vermehrter Überwachung am Arbeitsplatz, die drei Viertel der Beschäftigten befürchten. 32 Prozent der Befragten haben zudem Angst vor weniger Mitbestimmung und mehr als ein Viertel der Beschäftigten (27 Prozent) befürchtet, dass die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit immer mehr verschwimmen.

EU-OSHA-Kampagne

Mit dem Thema Digitalisierung am Arbeitsplatz setzt sich auch die aktuelle Kampagne der EU-Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) auseinander. Unter dem Titel „Sicher und gesund arbeiten in Zeiten der Digitalisierung“ soll das Bewusstsein für die Auswirkungen neuer digitaler Technologien auf die Arbeit geschärft werden. Ziele der Kampagne, die seit Herbst 2023 läuft, sind die Wissenserweiterung, die Sensibilisierung für die Herausforderungen im Arbeitnehmer:innenschutz, die Aufklärung über neue Risiken und Chancen sowie die wesentlich verstärkte Arbeitsplatzevaluierung als Dreh- und Angelpunkt, um sich diesem sehr komplexen Thema zu nähern. „Der digitale Wandel kann nicht aufgehalten werden, aber wir haben Gestaltungsmöglichkeiten und diese Gestaltungsmöglichkeiten sollten wir bestmöglich nutzen“, betont Martina Häckel-Bucher, Kampagnenmanagerin im Zentral-Arbeitsinspektorat. Dafür wird die Vielfalt des Themas durch die Aufteilung in fünf Bereiche heruntergebrochen: Arbeiten auf digitalen Plattformen, Automatisierung von Aufgaben, mobiles und hybrides Arbeiten, Personalmanagement mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) und intelligente digitale Systeme.

Digitale Arbeitswelt in der Praxis

In der Praxis zeigt sich, dass es zwei Seiten der Digitalisierung gibt. Viele neue Technologien und Systeme schaffen Vorteile für Arbeitnehmer:innen. So können durch den Einsatz neuer technischer Innovationen körperliche Belastungen unter anderem beim Heben und Tragen reduziert werden, wie beispielsweise in der Pflege. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass sich dadurch auch neue Unfallgefahren ergeben. Außerdem hat die psychische Belastung im digitalen Zeitalter deutlich zugenommen – unter anderem durch ständige Erreichbarkeit, Informationsüberflutung, Isolierung im Homeoffice, zunehmenden Stress wegen erhöhten Termin- und Zeitdrucks, häufige Unterbrechungen durch E-Mails, SMS und Textnachrichten sowie Unsicherheiten und Ängste.
In vielen Fällen kommt es auch darauf an, wie gewisse Technologien in der Praxis genutzt werden. EATON Industries (Austria) GmbH mit einem Produktionswerk in Schrems (Niederösterreich) ist ein Unternehmen, das voll und ganz in der Industrie 4.0 angekommen ist. Dem Zentralbetriebsratsvorsitzenden Werner Müller ist es wichtig, die Digitalisierung in Form von Betriebsvereinbarungen mitzugestalten. Dadurch soll insbesondere sichergestellt werden, dass nur die Maschinen, nicht aber die Beschäftigten überwacht werden.
Es steht außer Frage, dass neue Technologien auch missbraucht und zur Überwachung von Beschäftigten verwendet werden können. Das ist auch eine große Sorge der Arbeitnehmer:innen: dass nämlich digitale Systeme eher zur Kontrolle der Beschäftigten als zur Erleichterung gewisser Arbeitsprozesse installiert werden. Durch die Überwachung kann ein enormer Druck auf die Beschäftigten entstehen. Bei Lieferdiensten zum Beispiel, bei denen Aufträge via App am Handy erteilt werden, wird alles genau mitgetrackt, und die so gesammelten Daten können herangezogen werden, um die Performance einzelner Arbeitnehmer:innen auszuwerten und Ranking-Listen zu erstellen. Dieses Ausmaß an Überwachung erzeugt Druck und Stress. Dies wirkt sich dann langfristig natürlich auf die Gesundheit der Beschäftigten aus.

Menschengerechte Digitalisierung

Was bedeutet es für den Arbeitnehmer:innenschutz, wenn sich die Arbeit durch die Digitalisierung verändert? Egal, ob digitale Arbeitsmittel, Systeme oder Prozesse in Betrieben eingeführt werden: Das Ziel muss es immer sein, dass die Arbeit menschengerecht gestaltet wird. Dafür sollte sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Sie soll ausführbar sein, darf nicht schädigen, muss auch langfristig erträglich bleiben sowie zumutbar und persönlichkeitsförderlich sein. Wenn also neue Technologien oder Systeme im Unternehmen zum Einsatz kommen und sich die Arbeit dadurch verändert, ist eine Arbeitsplatzevaluierung, bei der sowohl die körperlichen als auch psychischen Auswirkungen erhoben werden, notwendig. Es geht darum, Gefahren zu erkennen, diese abzufangen und rechtzeitig Schutzmaßnahmen einzuleiten. Hier ist der Betriebsrat einzubinden, der Mitspracherechte hat. Auch Sicherheitsvertrauenspersonen und Präventivfachkräfte können den Prozess unterstützen und gemeinsam mit den Arbeitgeber:innen Schutzmaßnahmen erarbeiten. Es sind jedenfalls die Arbeitgeber:innen, die die Fürsorgepflicht für die Arbeitnehmer:innen tragen und die dafür verantwortlich sind, dass entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden.

Digitale Arbeit gestalten

Zur Gewährleistung menschengerechter Arbeit im Umgang mit der voranschreitenden Digitalisierung sind vier essenzielle Säulen zu berücksichtigen:

  1. Einbindung und Mitbestimmung: Zum einen sind Präventivfachkräfte, Betriebsrat und Sicherheitsvertrauenspersonen einzubinden, wenn es darum geht, den Arbeitsplatz zu evaluieren, die Auswirkungen von Digitalisierungsmaßnahmen zu eruieren und geeignete Sicherheitsmaßnahmen im Betrieb zu erarbeiten. Zudem sollten bereits vor der Einführung neuer Technologien die Beschäftigten im Betrieb eingebunden werden. Mitbestimmung ist hier ein zentraler Faktor, da die Beschäftigten im Betrieb die Nutzer:innen der Technologien sind. Sie sind es auch, die am besten über ihre Aufgaben und Tätigkeiten Bescheid wissen und daher gut einschätzen können, was möglich ist und was nicht bzw. wie etwas umgesetzt werden kann. Dieses Einbeziehen kann direkt oder indirekt über den Betriebsrat erfolgen.
  2. Arbeitsplatzevaluierung: Immer dann, wenn sich am Arbeitsplatz etwas verändert, wenn neue Systeme, Technologien, Arbeitsmittel oder Arbeitsweisen eingeführt werden, müssen die Auswirkungen auf physischer und psychischer Ebene im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung untersucht werden. Nur so können mögliche Risiken und Gefahren aufgedeckt und im nächsten Schritt auch abgefangen werden.
  3. Unterweisung: Nach der Arbeitsplatzevaluierung ist es wichtig, die Beschäftigten und alle Beteiligten über die Gefahren zu informieren und sie in den neuen Sicherheitsmaßnahmen zu unterweisen. Nur so können die Gefahren vermindert werden.
  4. Einschulung, Weiterbildung und Qualifizierung: Bei der Einführung neuer Technologien sind immer auch die Fähigkeiten der Arbeitnehmer:innen zu berücksichtigen. Umfassende Einschulungen sind hierbei genauso wichtig wie die regelmäßige Weiterbildung und Qualifizierung der Beschäftigten. Dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, langfristig gut mit den digitalen Neuerungen im Betrieb umgehen zu können, ohne damit überfordert zu sein.
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Bei der Einführung neuer Technologien und digitaler Systeme sollte immer der Grundsatz befolgt werden, optimale Rahmenbedingungen für gute und gesunde Arbeit zu schaffen. Denn Arbeit ist gestaltbar und in enger Zusammenarbeit mit den Beschäftigten, Betriebsrät:innen, Sicherheitsvertrauenspersonen und Präventivfachkräften können gesunde Arbeitsbedingungen für digitale Arbeit geschaffen und Gefahrenquellen durch geeignete Schutzmaßnahmen reduziert oder sogar ganz ausgeräumt werden.

Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 2/2024