Gute Arbeit nur für Roboter?
Auch wenn Pizza liefernde Drohnen, selbstfahrende Autos und das Internet der Dinge noch auf sich warten lassen, der Countdown für die Arbeitswelt 4.0 hat längst begonnen.
Die ersten 1.000 Exemplare von Pepper waren binnen einer Minute ausverkauft. Rund 1.500 Euro kostet der humanoide Roboter, er kommuniziert verbal und per Display und kann die menschliche Mimik und Gestik interpretieren. Pepper versteht zwar weder Scherze noch kompliziertere Sätze, aber für einfache Verkaufs- und Empfangstätigkeiten etwa ist er gut geeignet.
So weit nur eine Form künstlicher Intelligenz, die uns in Zukunft häufiger begegnen wird. Auch voll automatisierte, smarte Fabriken mit cyber-physischen Systemen (CPS) oder „Pick and Place“-Roboter, die winzige Komponenten zu Computerchips zusammenfügen, werden unter anderem die Arbeitswelt verändern – nicht mit einem Schlag, aber unaufhaltsam. Bereits jetzt gibt es in Europa – im Verhältnis zu den Beschäftigtenzahlen – weltweit die meisten Industrieroboter.
Die ersten Vorboten der neuen Arbeitswelt sind bereits heute etabliert: 3-D-Drucker, Big Data und Co lassen erahnen, was auf uns zukommt. Cloud-Computing hat Arbeitsvermittlungsplattformen wie den Taxidienst Uber und Crowdworking möglich gemacht. Hier zeigen sich bereits die ersten Probleme, die die neue Arbeitswelt mit sich bringen kann.
Rechtlos in der Cloud
Entgrenzung: CrowdworkerInnen (IT-ExpertInnen, TexterInnen, ÜbersetzerInnen etc.), die anonym ihre Aufträge über Online-Plattformen wie Clickworker lukrieren, arbeiten – und das bei globalem Wettbewerb – in der Regel von zu Hause aus. Arbeitszeiten werden dann je nach Auftragslage ausgedehnt, für Körper und Geist dringend nötige (Kurz-)Pausen entfallen. Generell besteht durch die zunehmende Auflösung betrieblicher Strukturen die Gefahr, dass sich Arbeitgeber ihrer Fürsorgepflichten entziehen. Schon jetzt kommt es auch bei herkömmlichen ArbeitnehmerInnen unter anderem durch permanente Erreichbarkeit zu gesundheitlichen Problemen wie etwa Schlafstörungen. Studien zufolge arbeiten Beschäftigte im Home-Office freiwillig um 10 bis 15 Prozent mehr – positiv für die Arbeitgeber, aber auf Dauer vielleicht ein Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten. Denn auch was Spaß macht, kann irgendwann in gesundheitsschädlichen Stress ausarten.
Kein ArbeitnehmerInnenschutz: Ähnlich ist die Situation bei Arbeitsvermittlungsplattformen, über die Privatpersonen beispielsweise Haushaltshilfen buchen können. Die so Beschäftigten haben zwar mehr zwischenmenschliche Kontakte als CrowdworkerInnen, die daheim vor dem Computer sitzen, aber genauso wenig betriebliche Strukturen und ArbeitnehmerInnenschutz-Verantwortliche. Beschäftigte in diesen neuen Formen der Lohnarbeit sollten – so die Zukunftsvision von AK-ExpertInnen – dieselben Rechte wie ArbeitnehmerInnen haben.
Entgrenzt und transparent
Flexibles Arbeiten und Desk-Sharing: In der „Washington Post“ berichtete die Werbetexterin Lindsey Kaufman kürzlich von der Übersiedlung ins Großraumbüro: „Nach neun Jahren war ich also gezwungen, mein Büro gegen einen Platz an einem langen, gemeinsamen Tisch zu tauschen. Es fühlte sich an, als hätte man mir die Kleider weggenommen und ich stand plötzlich in Unterwäsche da …“ Nun sind Großraumbüros zwar nichts Neues, aber vor allem in Kombination mit mobilem Arbeiten und Desk-Sharing für viele ein Belastungsfaktor. Das zeigte 2012 auch eine FORBA-Studie mit Beschäftigten eines Technologiekonzerns mit Desk-Sharing. Der Wegfall der gewohnten Arbeitsumgebung bzw. des zumindest in Maßen gestaltbaren eigenen „Territoriums“ sorgte für Kritik bei den Betroffenen. Im Vergleich mit anderen untersuchten Unternehmen war die Zufriedenheit mit den räumlichen Bedingungen in diesem topmodern ausgestatteten Bürogebäude mit Abstand am geringsten. Moderne Büroräumlichkeiten haben zudem oft Loft-Charakter und riesige Fensterflächen. So wie Lindsey Kaufman fühlen sich die Angestellten dort unter permanenter Beobachtung und leiden unter der Geräuschkulisse. Microsoft Österreich bietet den Beschäftigten im Wiener Headquarter die Möglichkeit, sich bei Bedarf in einen kleinen fensterlosen und abgedunkelten Raum zurückzuziehen.
Arbeiten unterwegs: Immer häufiger wird auch im Flugzeug, im Café oder auf Parkbänken – unter ergonomisch ungünstigen Bedingungen – gearbeitet. Das ist zwar abwechslungsreich und vielleicht zeitsparend, kann aber auf Dauer zu körperlichen Beschwerden führen.
Kollege Roboter: Während Roboter bisher vorwiegend in streng abgegrenzten Bereichen arbeiteten, kommen sie ihren menschlichen ArbeitskollegInnen langsam näher. Denn sie haben „gelernt“, auf Körperkontakt entsprechend zu reagieren. Die Bewegung wird abgebremst, der Roboter(arm) zieht sich zurück, sodass es theoretisch nicht zu Verletzungen kommen sollte. Trotzdem: Angesichts ungewöhnlicher Situationen können Roboter (noch) nicht angemessen reagieren. Das macht sie zu einer potenziellen Gefahrenquelle.
Neue Jobs mit neuen Belastungen: Selbstständig arbeitende cyber-physische Systeme werden durch sogenannte Work-Area-ControllerInnen überwacht. Während diese Tätigkeit bei Normalbetrieb meist eher monoton ist, entstehen bei Störungen oft schwer zu bewältigende Arbeitssituationen. Dann ist rasches, improvisatorisch-experimentelles Handeln nötig – eine Qualifikation, die im automatisierten Routinebetrieb nicht aufgebaut werden kann. „Der Ausbau und die sachgemäße Durchführung der Evaluierung psychischer Belastungen werden in Zukunft noch wichtiger sein“, prognostiziert Hildegard Weinke, Sicherheits- und Gesundheitsexpertin der AK Wien. „Denn was nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, passiert auch nicht – außer vielleicht für hochqualifizierte Fachkräfte. Es gibt viel zu tun, damit sich daran etwas ändert."
Positive Effekte
Die AK-Expertin erwartet aber durchaus auch positive Auswirkungen der Arbeitswelt 4.0:„Körperliche Belastungen durch Umwelteinflüsse, schweres Heben o. Ä. werden weiterhin abnehmen.“
- Der Arbeitsplatz der Zukunft kann – etwa durch die Memory-Funktion bei Autositzen oder elektrisch verstellbare Schreibtische – individuell angepasst werden. Zumindest theoretisch, denn in der Praxis sind dafür natürlich entsprechende Investitionen durch das jeweilige Unternehmen erforderlich.
- Neue Medien und technische Hilfsmittel ermöglichen darüber hinaus Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen mehr Teilhabe an der Arbeitswelt.
- Avatare können virtuelle Abbilder von Tätigkeiten liefern und wertvolle Hinweise auf ergonomische Fehlhaltungen geben.
- Datenbrillen schlagen Handlungsschritte vor und helfen im Notfall.
Hildegard Weinke bringt es auf den Punkt: „Die wichtigste Voraussetzung für eine menschengerechte Arbeitswelt 4.0 ist, dass Maschinen und Roboter zur Unterstützung des Menschen eingesetzt werden und nicht als kostengünstiger Ersatz, der keinen Urlaub braucht und nie krank wird und nach vorgegebenen Wartungsintervallen funktioniert.“
Pflege 4.0
Wie viele und welche Jobs in Zukunft tatsächlich wegfallen bzw. neu entstehen werden, kann heute trotz mehrerer Studien niemand wirklich vorhersagen. Fest steht jedenfalls, dass typisch menschliche Eigenschaften wie Mitgefühl, Kreativität und Intuition in Zukunft (noch) wichtiger werden als heute. Soziale Jobs werden – nicht zuletzt infolge der demografischen Veränderungen – an Bedeutung gewinnen. Wobei intelligente Technik in Zukunft Pflegekräfte spürbar entlasten kann, dafür braucht es nicht gleich einen teuren Pflegeroboter. Computer-Assistenzsysteme mit smarten Wohnungstüren, Videotelefonie oder smarten Fußböden zur Sturzerfassung sind auch heute schon machbar (Ambient Assisted Living). Solange diese Entwicklungen nicht nur den Wohlhabenden vorbehalten bleiben, können sie dazu beitragen, SeniorInnen ein selbstbestimmtes und würdevolles Altern zu ermöglichen und gleichzeitig die zunehmenden Kosten für Altenbetreuung in Grenzen zu halten.
Glossar
Ambient Assisted Living (AAL): Einsatz von (vernetzten) Computer-Assistenzsystemen, um vor allem SeniorInnen und Menschen mit Beeinträchtigungen den Alltag zu erleichtern (smarte Toiletten, Videotelefonie …)
Augmented Reality (AR): Computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung; Beispiele dafür sind Datenbrillen, auf denen etwa Reparaturanleitungen eingeblendet werden, oder die Projektion einzelner, aus einem Katalog eingescannter Möbelstücke an verschiedene (mit dem Handy fotografierte) Plätze in der Wohnung.
Desk-Sharing (auch Flexible Office oder Shared Desk): Organisationsform, bei der innerhalb eines Unternehmens/einer Abteilung weniger Arbeitsplätze als MitarbeiterInnen vorhanden sind. Die am jeweiligen Tag im Büro anwesenden Beschäftigten können bzw. müssen ihren Arbeitsplatz täglich frei wählen, also etwa über das Intranet buchen.
Cyber-physische Systeme (CPS): Datentechnisch vernetzte Produktionsanlagen, Produkte, Materialien und Transporttechnologien (Smart Objects), die ihre Nutzung, Bearbeitungsprozesse und Funktionen autonom organisieren, steuern und an externe Anforderungen wie wechselnde Nachfrage oder unerwartete Störungen autonom anpassen. Somit sind CP-Systeme die Grundlage für das vielzitierte Internet der Dinge (Internet of Things/IoT).