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Erfolgsfaktor Ergonomie

Ergonomie ist die Grundlage für menschengerechte Arbeit und gesunde Arbeitsplätze. Davon profitieren Arbeitnehmer:innen gleichermaßen wie Arbeitgeber:innen. Es braucht daher die verstärkte Einbindung von Ergonom:innen in den Betrieben, damit diese mit ihrer Fachexpertise neue wissenschaftliche Erkenntnisse für die Betriebe praktisch nutzbar machen.

Durch einen höhenverstellbaren Schreibtisch kann die Arbeitshöhe optimal an die Körpergröße angepasst werden und es können einseitige Körperbelastungen durch ständiges Sitzen vermieden werden. Markus Zahradnik

Rücken-, Nacken- und Schulterschmerzen durch mangelnde Büroergonomie, Augen- oder Kopfschmerzen aufgrund schlechter Beleuchtung, Muskel- und Skeletterkrankungen durch Zwangshaltungen, häufiges Bücken und schweres Heben, Stress und Erschöpfung durch monotone Tätigkeiten oder schlechte Pausengestaltung und vieles mehr: Die Liste der Probleme, die sich für Arbeitnehmer:innen ergeben können, wenn Arbeitsplätze nicht ergonomisch gestaltet sind, ist lang. Egal ob in der Industrie, in der Produktion, im Verkauf, im Dienstleistungssektor, in der Pflege oder im Büro – Ergonomie ist über alle Branchen hinweg von enormer Bedeutung. Doch was bedeutet es, ergonomische Arbeitsbedingungen zu schaffen, und was braucht es dafür?

Ergonomie ist die Grundlage für menschengerechte Arbeit und gesunde Arbeitsplätze. Markus Zahradnik

Was bedeutet Ergonomie?

Ergonomie setzt sich aus den griechischen Worten „ergon“ (auf Deutsch „Arbeit“) und „nomos“ (auf Deutsch „Regeln, Gesetze, Gebräuche“) zusammen und kann mit „Arbeitsgewohnheiten“ bzw. „Arbeitsgesetzen“ übersetzt werden. Das sehr große Gebiet der Ergonomie lässt sich in drei zentrale Bereiche gliedern:

  • Physikalische Ergonomie: die Gestaltung des Arbeitsplatzes (beispielsweise eine ergonomische Ausstattung, Arbeitsmittel etc.)
  • Kognitive Ergonomie: die ideale Wahrnehmung (beispielsweise in der Softwareergonomie, damit die Anwendung von Programmen leichtfällt und übersichtlich ist)
  • Organisatorische Ergonomie: die optimale Anordnung von Arbeitsplätzen, um die zwischenmenschliche Kommunikation zu optimieren

Ergonomie schafft gesunde und menschengerechte Arbeitsplätze!

Harald Bruckner, AK Wien

Das Ziel der Ergonomie ist es, die Arbeit sowie die Arbeitsumgebung an die physischen und psychischen Fähigkeiten der Arbeitnehmer:innen anzupassen und damit Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden im Betrieb zu fördern. Dies bringt gesundheitliche Vorteile für die Arbeitnehmer:innen, wie beispielsweise die Vermeidung von arbeitsbedingten Erkrankungen, Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, mit dem Ziel, gesund in die Pension zu kommen. Aber auch für Arbeitgeber:innen ergeben sich Vorteile, da sie von erhöhter Produktivität, Arbeitsqualität und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sowie einer niedrigeren Fehlerrate profitieren. „Ergonomie schafft gesunde und menschengerechte Arbeitsplätze“, betont Harald Bruckner, Referent in der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit in der AK Wien.

Menschengerechte Arbeit

Um menschengerechte Arbeit zu gewährleisten, muss sie die folgenden vier Kriterien erfüllen:

  • Arbeit muss ausführbar sein: Der Mensch muss in der Lage sein, die Aufgabe überhaupt auszuführen, sie muss also zu seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten passen.
  • Arbeit muss erträglich sein: Darunter versteht man, dass Arbeitnehmer:innen die Arbeit auch bei täglicher Wiederholung über das gesamte Arbeitsleben hinweg ausüben können, ohne dass ihre Gesundheit darunter leidet.
  • Arbeit muss zumutbar sein: Darunter versteht man eine Zumutbarkeit im Sinne von Beeinträchtigungsfreiheit, also dass die vorhandenen Erschwernisse und Beeinträchtigungen von den betroffenen Beschäftigten als zumutbar empfunden werden.
  • Arbeit muss zufriedenstellend sein: Dieser Faktor zielt auf die Persönlichkeitsförderlichkeit ab. Sind die Arbeitnehmer:innen mit der Arbeit zufrieden? Trägt die Arbeit zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung bei?
Palettenwagen und Gabelstapler reduzieren die körperliche Belastung der Beschäftigten beim Transportieren und Heben schwerer Lasten. Adobe Stock / Alina Buzunova

Ergonomische Arbeitsgestaltung

Wenn es um die ergonomische Gestaltung der Arbeit im Betrieb geht, sind mehrere Komponenten zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa der Arbeitsplatz, der Arbeitsraum, Arbeitsmittel, Umgebungsbedingungen und die Organisation der Arbeitsabläufe. Zu den Arbeitsmitteln zählen unter anderem Werkzeuge, Maschinen und Hebehilfen. Aber auch der Arbeitsplatz selbst muss ergonomisch gestaltet sein, worunter beispielsweise fällt, wie die Arbeitsmittel im Betrieb angeordnet sind und wie Bewegungsflächen sowie Fußböden gestaltet sind. Ergonomisch gute Umgebungsbedingungen sind ein weiterer wichtiger Gesundheitsfaktor. Darunter fallen beispielsweise die Beleuchtung und Belichtung von Räumlichkeiten, der Lärmpegel, das Raumklima, Vibrationen etc. Ein weiterer Bereich der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung ist die Arbeitsorganisation. Beispiele hierfür sind etwa die Aufgabenteilung unter den Kolleg:innen oder die Arbeitszeit. Neben der grundlegenden Sicherstellung geeigneter Rahmenbedingungen ergeben sich aufgrund technischer und technologischer Neuerungen oftmals ergonomische Anpassungen, die auch bei der Information und Unterweisung zu berücksichtigen sind. Darunter fallen beispielsweise die Anschaffung ergonomischer Headsets beim Umstieg von persönlichen Meetings auf Onlinemeetings, aber auch entsprechende Einschulungen auf neu angeschaffte Maschinen sowie Ausbildungen und Trainings, um Arbeitnehmer:innen mit neuen Technologien und Systemen vertraut zu machen und so einen sicheren Umgang damit zu gewährleisten.

Achtung, Gesundheitsgefährdung!

Leider sieht die Praxis oftmals ganz anders aus, wie die Arbeitskräfteerhebung 2020 der Statistik Austria zeigt, die Arbeitsunfälle und arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme untersucht. Diese kam zu der Erkenntnis, dass rund 3,5 Prozent der Erwerbstätigen einen Arbeitsunfall im vorangegangenen Jahr hatten sowie dass rund 13 Prozent der Erwerbstätigen arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme haben. Zudem fühlten sich 86,4 Prozent der Erwerbstätigen an ihrem Arbeitsplatz mindestens einem körperlichen und/oder einem psychischen Gesundheitsrisiko ausgesetzt.

Fokus auf Prävention

Um die Arbeit im Betrieb ergonomisch zu gestalten, ist eine gute Arbeitsplatzevaluierung zentral: Arbeitgeber:innen müssen laut ArbeitnehmerInnenschutzgesetz bei festgestellten körperlichen und psychischen Gefahren am Arbeitsplatz wirksame Schutzmaßnahmen setzen. „Würden Betriebe stärker auf die Umsetzung ergonomischer Erkenntnisse setzen, dann könnten viele Folgeerkrankungen vermieden werden“, so Harald Bruckner. Gute Arbeitsbedingungen reduzieren arbeitsbedingte Erkrankungen, Krankenstände sowie Arbeitsunfälle und damit auch menschliches Leid. Bruckner wirft ein, dass vor allem Muskel- und Skeletterkrankungen durch die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung vermieden oder zumindest stark reduziert werden könnten, da diese aus nicht ergonomisch gestalteten Arbeitsplätzen oder aus dem Einsatz unergonomischer Arbeitsmittel resultieren. Umso wichtiger ist es, dass Arbeitgeber:innen die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung – die auch die Evaluierung psychischer Belastungen beinhaltet – durchführen und Belastungen bzw. Gefahren am Arbeitsplatz ermitteln, beurteilen und Schutzmaßnahmen einleiten.

Ein Betrieb, der sich viel mit ergonomisch gestalteten Arbeitsplätzen auseinandergesetzt hat, ist die BECOM-Gruppe, ein internationales Familienunternehmen mit Firmenzentrale im Burgenland, das im Bereich Electronic-Engineering und Manufacturing-Services tätig ist. Durch den Arbeitsmediziner Herbert Tillhof wird darauf geachtet, dass die Arbeitsplätze so gestaltet sind, dass sie nicht zu Problemen mit dem Bewegungsapparat führen. So wurden beispielsweise für Büroarbeitsplätze gute Standardlösungen eingeführt, die unter anderem höhenverstellbare Tische beinhalten. In der Fertigungshalle können zudem – sofern nötig – individuelle Arbeitsplätze gebaut sowie spezifische Anpassungen an die Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen mit Behinderung durchgeführt werden.

Bei der ergonomischen Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen sind – neben Tischgröße, Bildschirm und Bürostuhl – zahlreiche weitere Aspekte, wie z. B. Beleuchtung, Belichtung, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lärm, zu berücksichtigen. studioback.at / Annett Stolarski

Mehr Fokus auf Ergonomie

Trotz der enormen Bedeutung von Ergonomie für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten hat das Thema in den letzten Jahren auf betrieblicher Ebene spürbar an Relevanz verloren. Und dies, obwohl es viele neue Erkenntnisse in diesem Bereich gibt. Das hängt damit zusammen, dass die vielfältigen Neuerungen vor allem als Normen vorliegen und oft nur als unverbindliche Empfehlungen betrachtet werden. Harald Bruckner gibt daher zu bedenken: „Ergonomische Erkenntnisse schaffen einen Mehrwert – damit der für alle spürbar wird, braucht es aber gesetzliche Rahmenbedingungen.“ Damit vertritt er den Standpunkt, dass neue Erkenntnisse im Bereich Ergonomie auch in Gesetze und Verordnungen gegossen werden müssen, um eine großflächige Wirkung zu entfalten. So gilt es beispielsweise, die manuelle Handhabung von Lasten auf Basis aktueller arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse wirksam gesetzlich zu regeln, denn es fehlen immer noch verbindliche Obergrenzen für das Bewegen von Lasten. Dies würde enorm dazu beitragen, Arbeitnehmer:innen vor überbordenden körperlichen Belastungen zu schützen und Muskel- und Skeletterkrankungen zu reduzieren.

Mehr Einbindung von Ergonom:innen in Betrieben

Eine weitere Problematik sieht Bruckner im zu geringen Einsatz von Ergonom:innen in der Praxis: „Es braucht mehr Ergonom:innen in den Betrieben – sie machen aus neuen Erkenntnissen einen Nutzen für die Betriebe und die Arbeitnehmer:innen.“ Meist werden Ergonom:innen nur von Fachexpert:innen aus Großbetrieben beigezogen, wenn ein entsprechender Verbesserungsbedarf festgestellt wurde. In vielen Kleinbetrieben fehlen jedoch die professionellen Strukturen im Bereich des Arbeitnehmer:innenschutzes, was es umso schwieriger macht, überhaupt eine Schnittstelle zur Ergonomie herzustellen. Die Praxis zeigt, dass viel öfter auf die Fachkompetenz von Ergonom:innen zurückgegriffen werden muss, was im Zuge der gesetzlich vorgesehenen Mindesteinsatzzeiten von bis zu 25 Prozent für sonstige geeignete Fachleute einfach und kostengünstig möglich wäre. Der Vorteil ist dabei klar: Ergonom:innen helfen dabei, theoretische wissenschaftliche Erkenntnisse für den Betrieb praktisch nutzbar zu machen. Sie übersetzen die Theorie in die Praxis und schaffen damit nicht nur einen gesundheitlichen Mehrwert für die Arbeitnehmer:innen, sondern auch einen wirtschaftlichen Mehrwert für die Betriebe.

 

Magazin Gesunde Arbeit 1/2025, Stamm-Ausgabe