Mit gesunden Arbeitsbedingungen gute Arbeitskräfte halten und gewinnen
Nicht überall wirkt sich der Arbeitskräftemangel gleich stark aus. Wieso fällt es manchen Unternehmen leichter als anderen, geeignete Arbeitskräfte zu finden? Die Antwort ist einfach und komplex zugleich: Wer gute Arbeitskräfte sucht, muss auch gute Arbeitsbedingungen bieten!
Der Mangel an Arbeitskräften ist aus den Medien und politischen Diskussionen nicht mehr wegzudenken. Mit reißerischen Headlines wie „Personal fehlt: Österreich hat den stärksten Arbeitskräftemangel aller EU-Staaten“, „Fachkräftemangel in Österreich weiterhin größtes Risiko für Unternehmen“ oder „Bedrohlicher Fachkräftemangel“ wird darüber berichtet, wie schwierig es für Unternehmen ist, Personal zu finden. Doch was steckt dahinter? Was hat der Arbeitskräftemangel mit dem Arbeitnehmer:innenschutz zu tun? Und wieso fehlen Arbeitskräfte in manchen Betrieben und in anderen nicht?
Wo fehlen Arbeitskräfte – und warum?
Wieso Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt in Österreich fehlen, dieser Frage geht das White Paper „Fachkräftebedarf in Österreich – Analyse der Ursachen, Status der Quantifizierung und steuernde politische Maßnahmen aus Arbeitnehmer:innensicht“ nach, das im März dieses Jahres veröffentlicht wurde. Darin identifizierte die Autorin Gabriele Schmid, Stabsstelle Fachkräfte in der Bereichsleitung Soziales der AK Wien, drei Herausforderungen, die es im Zusammenhang mit dem Arbeitskräftebedarf zu bewältigen gilt: Betriebe ziehen sich aus der betrieblichen Aus- und Weiterbildung deutlich zurück, viele Arbeitnehmer:innen gehen in Pension und die Digitalisierung und der sozial-ökologische Wandel krempeln die Arbeitswelt grundlegend um.
Zudem analysiert die Studie die Ursachen, warum in gewissen Branchen Arbeitskräfte fehlen: Im Gesundheits- und Sozialwesen, im Tourismus sowie im Handel werden verbesserungswürdige Arbeitsbedingungen und unterdurchschnittliche Bezahlung als Ursachen genannt. Die einzige Branche, die derzeit über konkrete Berechnungen zum Arbeitskräftebedarf bis zum Jahr 2030 verfügt, ist die Pflege. Laut der Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) werden bis 2030 76.000 zusätzliche Kräfte im Pflegebereich
gesucht! Zudem sind qualifizierte Arbeitnehmer:innen deutlich im Vorteil bei der Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle bzw. können diese die Stelle leichter wechseln, wenn sie nicht zufrieden sind. „Und das machen sie auch. Unternehmen, die gute Arbeitsbedingungen anbieten, finden Leute“, so Schmid.
Mangel ist oft „hausgemacht“
Viele Unternehmen weisen die Verantwortung für diesen Zustand gerne von sich, aber so einfach ist es nicht. Der erhöhte Arbeitskräftebedarf ist vielerorts weitgehend hausgemacht – beispielsweise in der Gastronomie und Hotellerie. Dies zeigt auch die Studie „Was steckt hinter dem Personalmangel?“ der Universität Wien im Auftrag der AK: Nahezu alle Befragten berichten davon, dass sie mit den Arbeitszeiten in der Branche unzufrieden sind. Geteilte Dienste, regelmäßige Wochenendarbeit, häufig zu leistende Überstunden, zu kurze Ruhezeiten und die Erwartung der Arbeitgeber:innen, dass die Arbeitnehmer:innen ständig verfügbar sein sollen, belasten die Beschäftigten extrem. Zudem wird die Entlohnung in der Branche angesichts der zu hohen Anforderungen an die Beschäftigten als unangemessen bewertet.
Wie muss Arbeit sein?
Das Beispiel der Gastronomie und Hotellerie zeigt ganz klar, was Beschäftigte nicht wollen. Doch was wünschen sie sich im Umkehrschluss von den Arbeitgeber:innen? Eines ist klar: Unternehmen mit guten Arbeitsbedingungen haben am Arbeitsmarkt die besseren Chancen. Doch wie muss Arbeit gestaltet sein, damit sie die Beschäftigten langfristig nicht krank macht? In diesem Zusammenhang wird im Arbeitnehmer:innenschutz von menschengerechter Arbeit gesprochen. Dabei muss nicht der Mensch sich kompromisslos an die Arbeit anpassen, sondern vielmehr muss die Arbeit an die Menschen angepasst werden. Ziel ist es, die Arbeit so zu gestalten, dass die menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse berücksichtigt werden und die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen gefördert wird – sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene. Dies steigert einerseits die Motivation und die Leistung der Arbeitnehmer:innen, anderseits wird auch die Mitarbeiter:innenbindung gestärkt. Und Unternehmen können sich als attraktive Arbeitgeber:innen präsentieren.
Der gesundheitliche Aspekt gewinnt in diesem Zusammenhang immer mehr an Bedeutung, da auch psychische Gefahren und Gesundheitsrisiken, wie übermäßiges Arbeitsaufkommen, Zeitdruck etc. und damit auch Stress, in der Arbeit ansteigen. Schlechte Arbeitsbedingungen machen langfristig die Beschäftigten krank. Hier müssen Arbeitgeber:innen ihre Fürsorgepflicht wesentlich stärker wahrnehmen und geeignete Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten setzen.
Der Weg zu guten Arbeitsbedingungen
Arbeit ist gestaltbar. Doch wie können gute Arbeitsbedingungen im Betrieb geschaffen werden und worauf kommt es dabei an? Psychologin Tanja Schnell betont: „Es ist wichtig, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die sinnvolles Arbeiten ermöglichen. Dabei gilt es, Arbeitnehmer:innen als Menschen zu sehen und wertzuschätzen, die Passung von Person und Tätigkeit zu stärken, gemeinsam transparente Ziele zu verfolgen und deutlich zu machen, welche Bedeutung die Arbeit hat – für Beschäftigte, Kund:innen, die Gesellschaft!“
Arbeitgeber:innen stehen unterschiedliche Hebel zur Verfügung, um für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen und die körperliche und psychische Gesundheit der Beschäftigten an die erste Stelle zu rücken. Ein wichtiges Werkzeug in diesem Zusammenhang ist die gesetzlich verankerte Arbeitsplatzevaluierung. Damit lässt sich die Ist-Situation im Unternehmen erheben und die Frage beantworten, wie es aktuell um die Arbeitsbedingungen im Betrieb steht. Aus den Ergebnissen der Ist-Analyse gilt es, wirksame Maßnahmen abzuleiten, die zu einer Verbesserung der Situation führen und auch langfristig für gute Arbeitsbedingungen im Betrieb sorgen. Da vielen Arbeitgeber:innen in der Regel eigenes Know-how sowie das Fachwissen von Expert:innen dafür fehlt, kommt den Präventivfachkräften eine zentrale Rolle in diesem Prozess zu. Hier wäre es wichtig, Arbeits- und Organisationspsycholog:innen verstärkt miteinzubeziehen. ÖGB und AK fordern deshalb seit Langem, diese wichtige Ressource verstärkt in den betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutz einzubinden. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen müssen endlich als Präventivfachkräfte anerkannt und dementsprechend im Gesetz verankert werden.
Auf dem Weg zu guten Arbeitsbedingungen sind Betriebsrat und Sicherheitsvertrauenspersonen wichtige Partner:innen. Die vom Meinungsforschungsinstitut IFES veröffentlichte Studie „Betriebliche Mitbestimmung 2022“ bestätigt, dass die Arbeitsbedingungen dort besser und gesünder sind, wo Betriebsräte tätig sind. Die Einbindung der Beschäftigten mit entsprechenden Mitsprachemöglichkeiten ist dabei das A und O, denn niemand weiß so gut wie sie, wo der Schuh drückt und wo im Arbeitsalltag Verbesserungspotenzial gegeben ist.
Sind die Aufgaben im Arbeitnehmer:innenschutz erledigt, kann – darauf basierend – die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) als weiterer wichtiger Baustein für mehr Gesundheit im Betrieb etabliert werden. Sie setzt sowohl auf der verhältnis- als auch auf der verhaltensorientierten Ebene an – also einerseits am Arbeitsumfeld, den Tätigkeiten etc. und andererseits auf der individuellen Ebene. Allerdings praktiziert derzeit leider nur ein verschwindend geringer Anteil der Betriebe BGF. Nur ein mageres Prozent aller Unternehmen trägt das qualitätsgesicherte BGF-Gütesiegel des Österreichischen Netzwerks für Betriebliche Gesundheitsförderung. Eine Aufwertung der Rolle der Betrieblichen Gesundheitsförderung sehen AK und ÖGB in der gesetzlichen Verankerung im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG).
Worauf kommt es an?
Was machen also Unternehmen richtig, die einfach zu qualifizierten Arbeitskräften kommen und diese auch längerfristig im Unternehmen halten? Dieser Frage ist Julia Bock-Schappelwein, Senior Economist am WIFO, nachgegangen. Sie berichtet von Good-Practice-Unternehmen, die zum Beispiel verschiedene Arbeitszeitmodelle anbieten würden. Wesentlich für die Mitarbeiter:innenbindung seien auch eine wertschätzende Arbeitskultur, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die konkrete Arbeitsplatzgestaltung. Es gibt also noch sehr viele Stellschrauben, um etwas für den erhöhten Arbeitskräftebedarf zu tun.
Arbeitszeit verkürzen!
Ein weiterer wichtiger Hebel zu besseren Arbeitsbedingungen ist die Arbeitszeit. Arbeitgeber:innen können beispielsweise dem vermehrten Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich nachkommen. Schließlich ist der Arbeitsdruck in den letzten Jahren enorm angestiegen. Eine Arbeitszeitverkürzung steigert nachweislich das Wohlbefinden. Arbeitsstress, Burn-out und Schlafschwierigkeiten gehen zurück und die körperliche und geistige Gesundheit verbessert sich. Damit steigen sowohl Lebenszufriedenheit und Motivation als auch die Arbeitsleistung.
Politische Forderungen und Lösungen
- Förderung und Unterstützung attraktiver Arbeitsbedingungen für alle! Besonderes Augenmerk sollte auf die systemerhaltenden Branchen gelegt werden, in denen die Belastungen besonders hoch sind.
- Ältere Arbeitnehmer:innen gesund in Beschäftigung halten: Dafür bedarf es Maßnahmen, die eine alternsgerechte und gesunde Arbeitswelt sicherstellen. Nur dann können Arbeitnehmer:innen gesund die Pension erreichen.
- Investitionen in Gesundheitsvorsorge
- Alternsadäquate Arbeitszeitmodelle
- Generationsübergreifender Wissens- und Erfahrungstransfer auf betrieblicher Ebene
- Bekämpfung von Altersdiskriminierung
Quelle: White Paper „Fachkräftebedarf in Österreich – Analyse der Ursachen, Status der Quantifizierung und steuernde politische Maßnahmen aus Arbeitnehmer:innensicht“ 2024
Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 4/2024