Ignoriertes Leiden: Berufsbedingte Bandscheibenerkrankungen
Nach vielen Jahren Stillstand trat im März 2024 das langersehnte „Berufskrankheiten-Modernisierungs-Gesetz“ in Kraft. Grund zur Freude bestand dabei nur sehr eingeschränkt, denn einige Erkrankungen werden in Österreich trotz vorliegender wissenschaftlicher Begründungen weiterhin beharrlich ignoriert.
Silvia B. arbeitet seit zwanzig Jahren als Pflegeassistentin in der chirurgischen Abteilung eines Spitals. Die Pflege und Betreuung der Patient:innen in den ersten Tagen nach deren Operation ist körperlich sehr belastend, besonders durch das oftmalige schwere Heben. Sie leidet unter starken Rückenschmerzen, die sich als mehrfacher Bandscheibenvorfall herausstellen. Obwohl die langjährige Tätigkeit als Pflegerin diese Erkrankung der Bandscheiben verursacht hat, wird sie in Österreich nicht als Berufskrankheit anerkannt. Würde sie in Deutschland arbeiten, wäre die Situation eine andere.
Der Vergleich zwischen Österreich und Deutschland
Ähnlich wie in Österreich sind anerkannte Berufskrankheiten in Deutschland in der Berufskrankheitenliste aufgezählt. Bei einer grundsätzlich vergleichbaren Arbeitswelt enthält die Liste in Deutschland aktuell 82 Positionen, jene in Österreich nur 56. Besonders deutlich zeigt sich der Unterschied bei den Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats. Während bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- oder Lendenwirbelsäule in Deutschland bereits seit 1993 als Berufskrankheit anerkannt werden, gibt es in Österreich dafür keine Möglichkeit. Dabei ließen sich mit dem aktuellen Wissensstand und dem Vorbild Deutschlands klare, abgrenzbare Kriterien für eine Anerkennung bei betroffenen Berufsgruppen erarbeiten.
So wird etwa eine rund zehnjährige Tätigkeit mit Heben und Tragen schwerer Lasten als Anhaltspunkt für die arbeitsbedingte Belastung herangezogen. Für die Definition „schwere Lasten“ und deren Einordnung für die einzelnen Berufe gibt es umfangreiche Empfehlungen und Richtwerte.
Was sind die Gründe für die unterschiedliche Vorgehensweise?
Anders als Österreich verfügt Deutschland über ein transparentes Prozedere zur Aktualisierung der Berufskrankheitenliste. Ein unabhängiger, qualifizierter Sachverständigenbeirat erarbeitet unter Berücksichtigung des aktuellen (medizinischen) Wissensstands Empfehlungen, die die Grundlage für die Überarbeitung bilden. Dadurch wird regelmäßig der wissenschaftliche Erkenntnisstand – sowohl zu bestehenden Berufskrankheiten als auch zu Krankheiten, die noch nicht als Berufskrankheit gelten – geprüft. Dieses Modell wäre auch für Österreich sinnvoll und mit einer gesetzlichen Änderung einfach umsetzbar.
Es braucht eine weitere Modernisierung der Berufskrankheitenliste durch die Aufnahme weiterer Erkrankungen und durch die Schaffung eines Sachverständigenbeirats. Für Silvia B., ihre Kolleg:innen und zahlreiche weitere Arbeitnehmer:innen wäre dies ein wichtiger Schritt für eine bessere Versorgung.
Magazin Gesunde Arbeit 1/2025, Stamm-Ausgabe