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Prävention – das zahlt sich aus!

Sich beim ArbeitnehmerInnenschutz auf die Kosten präventiver Maßnahmen zu fokussieren, ist eine sehr einseitige Betrachtung. Denn auf der anderen Seite stehen die Einsparung von Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfälle, ein erhöhter wirtschaftlicher Output, die Erhöhung langfristiger Arbeitsfähigkeit und ein Beitrag zum Wohlergehen der Erwerbsbevölkerung.

Markus Zahradnik

Marianne arbeitet als Steuerberaterin in einer Wiener Kanzlei. 50-Stunden-Wochen sind bei ihr normal. Zu Spitzenzeiten arbeitet sie sogar darüber hinaus. Abschalten kann sie kaum, ihre Arbeit und den damit verbundenen Stress nimmt sie auch mit nach Hause. Irgendwann spielt ihr Körper nicht mehr mit. Ihre Diagnose: Burn-out.

Herbert ist einer jener ArbeitnehmerInnen, der von einer Berufskrankheit der Haut betroffen ist. Denn die Schutzbarriere der Haut kann bei der Ausübung sehr vieler Berufe durch ungeschützten oder unsachgemäßen Umgang mit Chemikalien wie Säuren, Kühlmitteln oder anderen Stoffen angegriffen werden. Das trifft FriseurInnen gleichermaßen wie ChemikerInnen, ArbeitnehmerInnen in der Herstellung oder Verarbeitungsindustrie und noch viele mehr. Die Folge können Rötungen sein, Bläschen, Schuppen, Krusten oder – wie im Fall von Herbert – ein Ekzem.

Manuel hatte Glück im Unglück: Bei der Arbeit an einer Fertigungsmaschine hat er sich einen Finger eingeklemmt und sich diesen gebrochen. Es hätte auch schlimmer ausgehen können – von den 105.449 anerkannten und meldepflichtigen Arbeitsunfällen Erwerbstätiger in Österreich 2019 endeten 113 sogar tödlich. Doch all das muss nicht sein und kann in sehr vielen Fällen verhindert werden. Das Zauberwort dafür lautet Prävention.

Was ist Prävention?

Unter Prävention werden betriebliche Maßnahmen verstanden, die das Risiko arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfälle reduzieren. Nur wer seine Hausaufgaben im ArbeitnehmerInnenschutz macht, Gefahren und krank machende Arbeitsbedingungen regelmäßig evaluiert und anschließend die entsprechenden Maßnahmen umsetzt, kann erfolgreich Prävention betreiben.

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Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen

Die Kosten präventiver Maßnahmen stehen auf der einen Seite. Ihnen gegenüber stehen jedoch die Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen. Denn wenn schlechte Arbeitsbedingungen krank machen, hat das seinen Preis: Menschliches Leid und hohe Kosten sind die Folge. Diese Kosten wurden mit einer aktuellen WIFO-Studie erstmalig für Österreich konkret beziffert – auf Basis von Hintergrunddaten eines Forschungsprojektes der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (EU-OSHA). Die Zahlen umfassen auch unsichtbare Kostenkomponenten, die in der Öffentlichkeit meist gar nicht oder nur wenig thematisiert werden.

2015 entstanden durch Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen Gesamtkosten von 9,9 Mrd. Euro. Umgerechnet sind das 2.400 Euro pro erwerbstätiger Person bzw. 2,9 Prozent des BIP. Teilt man diese Kosten nun auf, entfallen 1,8 Milliarden Euro davon auf Arbeitsunfälle und der Großteil, also 8,1 Mrd., wird durch arbeitsbedingte Erkrankungen verursacht.

Sichtbar davon ist nur ein relativ kleiner Teil. So machen beispielsweise öffentliche und private Kosten zur Krankenbehandlung inklusive der Verwaltungskosten im Gesundheitssystem mit rund 0,9 Mrd. Euro nur einen geringen Anteil der Gesamtkosten aus. Die unsichtbaren Kosten sind mit rund 9 Mrd. Euro deutlich höher. Dazu zählen beispielsweise Kosten für den krankheitsbedingten Ausfall von Arbeitskräften, verminderte Produktivität sowie Einschränkungen bei der Verrichtung von Haushaltstätigkeiten.

Wer trägt diese Kosten? Ein Großteil der Folgekosten schlechter Arbeitsbedingungen (59 Prozent) wird von den betroffenen Beschäftigten selbst getragen. 24 Prozent fallen dem Sozialsystem zu und nur 17 Prozent werden tatsächlich von den verantwortlichen ArbeitgeberInnen getragen.

ROI – Return on Investment

Maßnahmen zur Reduktion von gesundheitlichen Risiken haben ein erhebliches Potenzial. Wer in präventive Maßnahmen investiert, steigert damit auch den wirtschaftlichen Output, erhöht die langfristige Arbeitsfähigkeit und trägt zum Wohlergehen der Erwerbsbevölkerung bei. Das wird unter Return on Investment verstanden. Oft werden nur die Kosten gesehen, die zur Beseitigung krank machender Arbeitsbedingungen und für präventive Maßnahmen aufgewendet werden müssen. Doch die Zahlen zeigen, wie viele Kosten dadurch gespart werden können – denn die Investition in Präventionsmaßnahmen rechnet sich für alle. Studien haben gezeigt, dass jeder in Prävention investierte Euro für den Betrieb mehr als doppelt zurückkommt.

Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung

Egal ob kleiner Betrieb oder großer Konzern: Den Weg zur erfolgreichen Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfälle müssen ArbeitgeberInnen nicht allein gehen. Sicherheitsfachkräfte, ArbeitsmedizinerInnen, die Unfallversicherungsträger und die Arbeitsinspektion unterstützen beim ArbeitnehmerInnenschutz. Die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) widmet sich darüber hinaus der Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Das Netzwerk Betriebliche Gesundheitsförderung (kurz Netzwerk BGF) bietet maßgeschneiderte Unterstützung bei der qualitätsvollen Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderung für Unternehmen an.

Im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) können die freiwillige BGF und der gesetzlich verpflichtende ArbeitnehmerInnenschutz miteinander verknüpft werden: z. B. die Arbeitsplatzevaluierung mit BGF-Prozessen. Das kann etwa so aussehen, dass zur Analyse des Ist-Zustands Unterlagen gesichtet und ArbeitnehmerInnen zum Ist-Zustand im Betrieb befragt werden. In einem nächsten Schritt können in Fokusgruppen im Betrieb Maßnahmen erarbeitetet werden, um den Soll-Zustand zu erreichen: z. B. was an der Führungsebene verbessert werden kann, welche Veränderungen es am individuellen Arbeitsplatz braucht, wo Belastungen reduziert werden können sowie an welchen Stellen besser kommuniziert werden sollte. Im nächsten Schritt werden die ausgearbeiteten Maßnahmen im Betrieb umgesetzt. Es können zwei Arten von Maßnahmen unterschieden werden: die Verhältnisprävention und die Verhaltensprävention. Bei der Verhaltensprävention geht es vor allem um die Einflussnahme auf das individuelle Gesundheitsverhalten, etwa durch Aufklärung oder Information, um den Einzelnen/die Einzelne dazu zu motivieren, Risiken zu vermeiden und sich gesundheitsförderlich zu verhalten. Bei der Verhältnisprävention hingegen sollen die Arbeitsbedingungen selbst geändert werden, um diese möglichst risikoarm und gesundheitsfördernd zu gestalten. In diesem Sinne steht Verhältnisprävention immer vor Verhaltensprävention. Die Maßnahmen sind so individuell wie die einzelnen Unternehmen, in denen sie eingeführt werden, und reichen von maschineller Unterstützung bei schwierigen Hebearbeiten über individuell angepassten Gehörschutz in lauten Fabrikhallen bis hin zu ergonomisch angepassten Arbeitsplätzen oder rückenschonenden Präventionsmaßnahmen in der Logistik. In einem weiteren Schritt erfolgt anschließend die Evaluierung der Maßnahmen und was diese im Betrieb tatsächlich verändert und verbessert haben. Gegebenenfalls müssen Maßnahmen dann angepasst werden.

Beispiele erfolgreicher Prävention

Welch positive Auswirkungen das Investment in präventive Maßnahmen im ArbeitnehmerInnenschutz bzw. der BGF haben kann, zeigen die nachfolgenden Beispiele des Fonds Gesundes Österreich:

So hat die Benevit-Gruppe, eine gemeinnützige Pflegegesellschaft des Vorarlberger Gemeindeverbandes, im Zuge der Gesundheitsförderung den Schwerpunkt im Bereich der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung gesetzt: „Dies beinhaltet Investitionen in Hilfsmittel und Ausstattung sowie Schulungen der Pflegefachkräfte, um eine ergonomische und vor allem auch sichere Transfer- und Hygieneversorgung unserer BewohnerInnen zu gewährleisten“, berichtet Geschäftsführerin Carmen Helbok-Föger, MSc., MBA.

Die Avia Station Gmünd – Motel, Restaurant, Tankstelle und Waschcenter – setzt in der Gesundheitsförderung vor allem auf ihr monatliches Angebot an Vorträgen mit externen ReferentInnen und themenspezifischen Gesundheitsinfos. „Die Beschäftigten wählen aus dem Angebot aus – je nach Interesse“, so Geschäftsführer Andreas Weber. „Seit 2020 ist zusätzlich unser eigenes Gesundheitszentrum mit einem Fitness- und Massagebereich fertig.“

Bionorica, ein Hersteller wissenschaftlich erforschter pflanzlicher Arzneimittel, konnte in den letzten Jahren bereits viele Maßnahmen umsetzen, „begonnen bei einer gesunden Mittagsverpflegung oder klassischen Workshops im Bereich Bewegung und Ernährung. Wir stellen dafür immer wieder auch Arbeitszeit zur Verfügung“, so Projektleiterin Mag.(FH) Karin Kreilinger.

Die Fachhochschule Salzburg setzt auf eine gute Mischung aus verhältnis- und verhaltensorientierten Maßnahmen. Geschäftsführerin Mag.Dr.in Doris Walter: „Viele Rahmenbedingungen, die in unserem Einflussbereich liegen, konnten wir gesundheitsfördernd gestalten.“

Bei Flex, einem internationalen Hightech-Unternehmen, beginnt die Gesundheitsförderung bereits bei den Lehrlingen. Laut Geschäftsführer Erich Dörflinger reicht das Angebot „von Rückenvermessungen im ersten Lehrjahr über Sport- und Bildungswochen bis hin zu Sportunterricht während der Arbeitszeit. Man muss von Beginn an auf die Gesundheit der MitarbeiterInnen achten, damit sie auch gesund in den Ruhestand gehen können.“

All diese Beispiele zeigen: Manchmal sind es bereits kleine Veränderungen, die Großes bewirken können. Und bei der Frage nach den Kosten sollte nie vergessen werden: Gesunde und motivierte ArbeitnehmerInnen sind auch für den Unternehmenserfolg entscheidend.

Magazin Gesunde Arbeit 4/2020