Unseriöse Berichterstattung über die Arbeitsinspektion
Die systematische Verunglimpfung der Arbeitsinspektorate zieht sich in den letzten Wochen durch alle Medien. Bei einer objektiven Bewertung fallen diese vermeintlichen Skandale jedoch wie Luftschlösser zusammen. Das Ziel hinter dieser Kampagne ist einzig die Absenkung von Mindeststandards bei Sicherheit und Gesundheit.
Waren in den letzten Jahren unter dem Deckmantel von „Better Regulation“ und „Entbürokratisierung“ immer wieder einzelne Stimmen bezüglich der Absenkung oder Abschaffung von ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen zu hören, wurde nun die für die Kontrolle zuständige Arbeitsinspektion ins Visier genommen. In jüngerer Zeit ist regelmäßig in Tageszeitungen zu lesen, dass die Kontrollorgane des Arbeitsinspektorats die Schutzvorschriften angeblich „völlig lebensfremd, bürokratisch oder sogar schikanös“ anwenden. Als Basis für diese Beiträge wurden ausschließlich Einzelfälle und oft nicht überprüfbare Beispiele herangezogen.
Beraten vor Strafen ist bereits Realität
Die daraus abgeleiteten Forderungen zielen darauf ab, die Arbeitsinspektion in ihrer Kontrollfunktion zu schwächen. Gefordert wird, dass die „Arbeitsinspektorate künftig vordergründig als Beratungs- und Serviceeinrichtung“ positioniert werden sollen. Eine Schwächung der Arbeitsinspektion wird auch mit dem Slogan „Beraten statt Strafen“ vorangetrieben. Richtig ist, dass die Arbeitsinspektion schon derzeit zunächst berät, bevor sie (sehr selten) Strafanträge stellt (Grundsatz: Beraten vor Strafen). Sicherheit und Gesundheit zum Schutz von ArbeitnehmerInnen werden als bürokratische Hürde, welche möglichst niedrig sein muss, gesehen. Ein Wettbewerb um die niedrigsten Schutzbestimmungen beziehungsweise um die schlechtesten Arbeitsbedingungen ist die Folge.
„Das Gesetz ist der Freund des Schwachen“ (Schiller) - es schützt vor allem jene Menschen, die hierzu selbst wenig(er) Möglichkeiten haben, und bildet, im Sturm der globalisierten Wettbewerbsgesellschaft, für sie einen unentbehrlichen Schutzschirm. Die Erfüllung der Fürsorgepflicht ist keine lästige Pflicht und bürokratische Last sondern die Grundlage für Investitionen in gesunde Arbeitsplätze als Teil moderner Unternehmensführung.
Staatliche Arbeitsinspektion braucht mehr Luft für ihren Überwachungsauftrag
Fakt ist: Der jüngste vorliegende Tätigkeitsbericht der Arbeitsinspektion für das Jahr 2015 zeigt, dass 116.481 Übertretungen nur 1.996 Strafanzeigen gegenüber stehen. Noch nie gab es so viele Gesetzesübertretungen wie 2015. So wenige Strafanzeigen gab es zuletzt 2006 (1.955), jedoch bei lediglich der Hälfte an Übertretungen (63.296). Somit mündete nur jede 58. Übertretung in eine Strafanzeige. Das sind magere 1,7 % aller Fälle. Im Jahr 2016 sank die Anzahl der Strafanträge weiter auf dem historischen niedrigsten Stand: 1.568 Strafanträge.
Der dramatische Anstieg an Gesetzesübertretungen wird offensichtlich negiert oder ist in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt. Gleichzeitig lassen immer wieder ArbeitgeberInnen kein gutes Haar an der Arbeitsinspektion. Gebetsmühlenartig werden immer wieder alte und neue Beispiele gebracht, wie ArbeitgeberInnen durch Bürokratie und Arbeitsinspektion behindert werden. Bei näherer Betrachtung lösen sich diese Beispiele meist in Luft auf und halten keinem Realitätscheck stand. Rein wirtschaftliche Interessen werden verfolgt. Die Gesundheit und Sicherheit der ArbeitnehmerInnen werden dabei völlig ausgeblendet und als Hindernisse dargestellt.
Die Kernaufgabe der staatlichen Arbeitsinspektion ist und bleibt die Überwachung und Durchsetzung der Vorschriften des ArbeitnehmerInnenschutzes. Die dafür notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen müssen zur Verfügung stehen, also mehr Personal mit mehr Durchsetzungsbefugnis. Nach den Vorgaben der ILO ist in Österreich zumindest ein Kontrollorgan pro 10.000 Beschäftigte erforderlich. Hier befinden wir uns bereits jetzt hart an der untersten Grenze dieser Schlüsselzahl.
Selbst bei schärferer wirtschaftlicher Lage darf der Wettbewerb nicht über dem Leben und der Gesundheit der Beschäftigten stehen. Unsere Schutzgesetze bieten Sicherheit in stürmischen Zeiten. Ohne sie wären die herrschenden Arbeitsbedingungen katastrophaler. Die Arbeitsinspektion ist Garant dafür, dass Wettbewerb nicht über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ausgetragen wird.
Viele mediale Fälle von heute wurden schon im Juni 2016 parlamentarisch beantwortet und entkräftet
Dem Anschwärzen der Arbeitsinspektion mit untauglichen, nicht nachvollziehbaren Beispielen muss ein Riegel vorgeschoben werden. „Der Schutzzweck des ArbeitnehmerInnenschutzes darf nicht untergraben werden“, stellte BM Stöger in seiner parlamentarischen Anfragebeantwortung klar. Falls Unklarheiten zur Vorgehensweise von Arbeitsinspektionsorganen bestehen, können sich ArbeitgeberInnen an die LeiterInnen der Arbeitsinspektorate oder an das Zentral-Arbeitsinspektorat wenden.
Die parlamentarische Anfragebeantwortung (8677/AB vom 20.6.2016) ist als Meldung vom 28.6.2016 auf Gesunde Arbeit zu finden (siehe Arbeitsinspektion mit weißer Weste).
Gemeinsam haben diese Berichte, dass sie Fälle beschreiben, deren Inhalte falsch dargestellt, aus dem Zusammenhang gerissen oder bewusst unvollständig gezeigt werden. Teilweise wurden auch von Arbeitgeber ungeeignete Maßnahmen ergriffen, welche dann als Forderungen der Arbeitsinspektion dargestellt werden. Offensichtlich ist, dass es hier nicht an der fehlenden und oberflächlichen Recherche liegt, sondern vielmehr die systematisch betriebene Schwächung der Arbeitsinspektion betrieben wird.
Ausgewählte, wahrlich an den Haaren herbei gezogene Beispiele
Einige Fälle aus der parlamentarischen Anfrage wurden neu aufgewärmt und in verschiedenen Medien aufgebauscht präsentiert. Manchmal kommen auch neue Beispiele dazu, wie die „Peep-Show im Beauty Salon“.
Beispiel 1: „Peepshow im Beauty-Salon“
Eine Beauty-Salon-Besitzerin postete auf Facebook ihren Ärger über eine Kontrolle des Arbeitsinspektorates. Sie behauptete, das Arbeitsinspektorat hätte angeordnet, „Intim-Enthaarungen nur in Räumen mit Fenstern ins Freie“ durchzuführen. Auf Facebook sorgte das Posting für einen Shitstorm gegen das Arbeitsinspektorat.
Fakt ist: Im Beauty-Salon mit mehr als 30 Beschäftigten wurden grobe Mängel vorgefunden. Im 1. Stock gab es keinen Sichtkontakt ins Freie und keine Be- und Entlüftung. Ein Notausgang war nicht vorhanden und der Aufenthaltsraum fehlte. Weitergehende Prüfungen konnten nicht durchgeführt werden, da die Evaluierung und die Mutterschutzevaluierung fehlten sowie keine Arbeitszeitaufzeichnungen geführt wurden.
Mehr unter: Die Wahrheit von der „Peepshow im Beauty-Salon“
Beispiel 2: Zwei ähnliche Fälle mit Gesundheitsgefahr durch langes Stehen und Ausrutschen
In einem Kaffeehaus ist an einem Steharbeitsplatz ein harter Fliesenboden verlegt. In einem anderen Kaffeehaus ist der Boden rutschig. Die Arbeitgeber behaupten, dass der Arbeitsinspektor einen Teppich vorgeschrieben hätte und zeigen nach anschließender Erklärung auch kein Verständnis für die Verpflichtung, geeignetes Schuhwerk zur Verfügung zu stellen.
Fakt ist: Fußbodenoberflächen sind so zu gestalten, dass sie befestigt, trittsicher und rutschhem-mend sind. Um nachträglich die bestehende Rutschgefahr zu entschärfen hätte der Arbeitgeber einfach nur Berufsschuhe zur Verfügung stellen müssen. Berufsschuhe haben ein ergonomisches Fußbett, nachgewiesene Dämpfung im Fersenbereich und eine ausreichende Rutschhemmung.
Beispiel 3: Putzmittel „CIF“
Braucht der Arbeitgeber ein Sicherheitsdatenblatt für „CIF“? Da er das Reinigungsmittel im Supermarkt kaufte wollte er vom Arbeitsinspektor wissen woher er das Sicherheitsdatenblatt bekommen soll?
Fakt ist: ArbeitgeberInnen müssen sich im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung hinsichtlich aller verwendeten Arbeitsstoffe vergewissern, ob es sich um gefährliche Arbeitsstoffe handelt. Gefahrenpiktogramme und Sicherheitsdatenblätter helfen hierbei. Im Zweifel müssen Auskünfte vom Lieferanten eingeholt werden. Das erwähnte Sicherheitsdatenblatt ist problemlos im Internet zu finden. Dort findet sich auch der Hinweis bezüglich der erforderlichen Verwendung von Schutzausrüstung wie Handschuhe oder Schutzbrille. Es macht einen Unterschied, ob „CIF“ fallweise im Haushalt verwendet wird oder täglich über acht Stunden und mehr in der Arbeit.
Beispiel 4: Unverständnis für die Notwendigkeit von „Ersthelfern“
Der Arbeitgeber stellt die Notwendigkeit von Ersthelfern in seinem Betrieb (aufgrund von Filialen) in Frage. Und behauptet, dass sich niemand dafür melden und seine Zeit opfern würde. Gleichzeitig stellt er die Frage, wie bei Abwesenheit des Ersthelfers vorgegangen werden soll.
Fakt ist: Durch EUGH-Urteil (C-428/04 vom 6.4.2006) wurde entschieden, dass ErsthelferInnen unabhängig von der Betriebsgröße bestellt werden müssen. In Folge musste das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) und die Arbeitsstättenverordnung (AStV) geändert werden. Bis 2015 lief die Übergangsfrist, damit Kleinbetriebe ErsthelferInnen ausbilden können. Zudem reicht bis vier Beschäftigte eine verkürzte Ausbildung mit 8 Stunden statt wie sonst mit 16 Stunden. ErsthelferInnen sind vom Arbeitgeber zu bestellen.
Beispiel 5: Trinken in Bereichen mit gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen
Im Fallbeispiel stehen Kaffee- und Getränkeautomaten trotz gesetzlichen Verbotes in der Produktionshalle, wo Edelstahl verarbeitet wird. Der Arbeitgeber meint, dass es belanglos wäre, wo der Automat stehen würde und er keinen Einfluss darauf habe wo sich die Mitarbeiter die Hände reinigen.
Fakt ist: Bei Arbeiten mit gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen ist das Essen, Trinken und Rauchen, die Einnahme von Medikamenten und die Verwendung von kosmetischen Mitteln verboten. Hintergrund ist, dass sich die Arbeitsstoffe in diesen Produkten und auf den Händen und auf der Schutzausrüstung ablagern können. Die Arbeitsstoffe werden mit dem Essen oder über die Getränke in den Körper aufgenommen. Es kommt mitunter zu erheblichen zusätzlichen Gesundheitsgefährdungen. Auf diese Verbote muss deshalb deutlich sichtbar hingewiesen sein. ArbeitnehmerInnen sind deshalb auch anzuhalten, sich insbesondere vor dem Essen, Trinken oder Rauchen und nach Arbeitsschluss gründlich zu reinigen.
Beispiel 6: Durchgangshöhe bei Tür zu niedrig
In einem denkmalgeschützten Gebäude ist die Tür in einen Abstellraum zu niedrig. Der Arbeitsinspektor verlangt einen Umbau. Laut Unternehmer würde dieser Umbau eine Million Euro kosten.
Fakt ist: Die Arbeitsstättenverordnung (AStV) verlangt eine Türlichte von 2,0 Metern. Bei denkmalgeschützten Gebäuden führt dies bekanntlich oft zu Schwierigkeiten, weshalb bescheidmäßige Ausnahmen möglich sind. Dazu müssen nur alternative Maßnahmen, wie die Kennzeichnung des Türstockes vorgesehen werden.
Weitere Beispiele: Obstkorbkontrolle, Schädlingsmonitoring, Notausgang
Ein Arbeitgeber behauptet, dass der Arbeitsinspektor verlangte, dass die Obstkörbe regelmäßig auf faules Obst kontrolliert werden müssten. Ein Unternehmer möchte im Betrieb ohne notwendige Ausbildung ein Schädlingsmonitoring (Giftköder usw.) durchführen. Ein Unternehmer behauptet, dass der Arbeitsinspektor einen Notausgang nicht genehmigen wollte, da dieser in der Einflugschneise des Flughafens liegt.
Fakt ist: In keinem dieser Fälle existiert im ArbeitnehmerInnenschutzrecht dazu eine Rechtsgrundlagen. Die Arbeitsinspektion ist gar nicht zuständig.
Erfolge des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) sind gefährdet
Seit Inkrafttreten des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes mit 1. Jänner 1995 ist ein deutlicher Rückgang bei den der AUVA gemeldeten Arbeitsunfällen zu beobachten und damit auch der Kosten, die den Betrieben und der Volkswirtschaft durch Arbeitsunfälle entstehen. Das Risiko für Beschäftigte, einen Arbeitsunfall zu erleiden, ist damit um ca. ein Viertel zurückgegangen.
Klarerweise wirkt sich dieser Rückgang auch positiv auf die Betriebe aus. Aus Statistiken der AUVA für die Jahre 1995 bis 2015 ergibt sich, dass die Kosten für die österreichischen Betriebe durch den Rückgang an Arbeitsunfällen um ca. 1,85 Milliarden Euro reduziert wurden, womit auch eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verbunden ist. Der volkswirtschaftliche Schaden konnte in dem Zeitraum um rund 10 Milliarden Euro reduziert werden.
Dies konnte auf Grundlage der kritisierten gesetzlichen Bestimmungen im ArbeitnehmerInnenschutz, die grundsätzlich auf Sozialpartnereinigungen beruhen, und durch Aktivitäten aller um den ArbeitnehmerInnenschutz bemühten Personen und Institutionen erreicht werden.
Aufwertung der Arbeitsinspektion notwendig
Die Arbeitsinspektion ist auch in Zukunft ein zentrales Instrument, um sichere und gesunde Arbeitsbedingungen für alle ArbeitnehmerInnen in Österreich zu gewährleisten. Die knapp 300 Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren müssen sich deshalb auf ihre Kontrolltätigkeit konzentrieren können. Dazu benötigt es ausreichend personelle Ressourcen und ein modernes Umfeld. Nur eine ausreichende Kontrolle sichere die Einhaltung von Mindeststandards und einen fairen Wettbewerb.