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Ein Plan für den Ernstfall

Ein Unfall! Jemand ist verletzt und braucht Erste Hilfe! Dieser Gedanke liegt nahe, wenn man das Wort „Notfall“ hört. Doch Notfälle umfassen mehr als nur Arbeitsunfälle, jede:r Arbeitnehmer:in kann betroffen sein.

Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz verpflichtet Arbeitgeber:innen, „für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen“ und entsprechende „Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren“ Markus Zahradnik

Notfälle treten plötzlich und unerwartet ein, bedrohen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der unmittelbar Betroffenen und können psychische Fehlbeanspruchung verursachen, auch bei Zeugen und Zeuginnen des Vorfalls. Zu Notfällen zählen Unfälle, Brände, Explosionen, die Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Naturkatastrophen. Aber auch bei Raub, Gewalt bzw. deren Androhung und sexuellen Übergriffen sowie bei Todesfällen durch Suizid spricht man von Notfällen.

Die Verantwortung, Notfälle zu verhindern, liegt bei den Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) verpflichtet sie, „für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen“ und entsprechende „Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren“ zu setzen (§ 3 ASchG). Diese müssen im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung getroffen werden und auch Vorkehrungen für Not- und Rettungsmaßnahmen beinhalten (§ 3 ASchG).

Ist ein Arbeitsunfall passiert, muss rasch reagiert und Erste Hilfe organisiert werden. Adobe Stock / Halfpoint

Eine Verpflichtung, ein Notfallkonzept zu erstellen, besteht nicht. Allerdings sind Maßnahmen für die bei der Arbeitsplatzevaluierung festgestellten Gefahren umzusetzen und schriftlich festzuhalten. „Im Büro braucht man keinen großen Notfallplan, nur einen Plan für die Erste Hilfe und eine Rettungskette. Besteht Brand- oder Explosionsgefahr, muss man den Brandschutzbeauftragten einbinden und im Ernstfall mit Schwerverletzten rechnen“, so Sicherheitsfachkraft Harald Bruckner von der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien.

Im Büro braucht man keinen großen Notfallplan, nur einen Plan für die Erste Hilfe und eine Rettungskette. Besteht Brand- oder Explosionsgefahr, muss man den Brandschutzbeauftragten einbinden und im Ernstfall mit Schwerverletzten rechnen

Harald Bruckner, Sicherheitsfachkraft von der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien

 

Kommunikation im Notfall

Benötigt jemand nach einem Unfall Hilfe, muss es schnell gehen. Laut Arbeitsstättenverordnung (§ 39 AStV) hat der:die Arbeitgeber:in dafür zu sorgen, dass sich in oder in der Nähe der Arbeitsstätte ein Telefon befindet. Verwendet man ein Mobiltelefon, sollte man nicht darauf vergessen, den Akku regelmäßig aufzuladen bzw. einen Zusatzakku mitzuführen.

Bei auswärtigen Arbeitsstellen, speziell im Gebirge oder in größeren Waldgebieten, gibt es mitunter keinen Mobilfunkempfang. Schon vor Arbeitsbeginn sollte man klären, wie gut die Netzabdeckung ist, und bei Bedarf auf Satellitentelefone oder Funkgeräte zurückgreifen. Ebenfalls zu empfehlen sind Personen-Notsignal-Geräte, insbesondere bei – möglichst zu vermeidender – Alleinarbeit. Listen mit den Kontaktdaten der im Notfall zu verständigenden Personen sollten griffbereit und aktuell sein.

Erste-Hilfe-Maßnahmen

Damit nach einem Notruf schnell und qualifiziert Erste Hilfe geleistet werden kann, hat der Gesetzgeber in § 26 ASchG und in § 40 AStV verpflichtende Maßnahmen festgelegt. Es muss immer eine ausreichende Anzahl an Personen, die in Erster Hilfe geschult sind, anwesend sein. Das sollte speziell bei der Einteilung von Schichtplänen und Homeoffice-Zeiten beachtet werden.

Die Mittel und Einrichtungen für Erste Hilfe samt Anleitungen müssen leicht erreichbar und gekennzeichnet sein. Es empfiehlt sich, den Inhalt der Erste-Hilfe-Kästen regelmäßig zu kontrollieren, um festzustellen, ob Produkte verbraucht oder abgelaufen sind und ersetzt werden müssen. Ratsam ist die Anschaffung eines Defibrillators, mit dem sich die Überlebensrate nach einem plötzlichen Herzstillstand deutlich erhöht.

Alarm, Flucht und Evakuierung

Bei Gefahren wie Bränden, Explosionen oder beim Austritt gefährlicher Stoffe müssen die Beschäftigten rechtzeitig gewarnt werden, was z. B. durch Lärm oder weitläufige Räumlichkeiten erschwert wird. Für derartige Fälle ist nach § 12 AStV die Installation von Alarmeinrichtungen, etwa Sirenen oder Lichtsignalanlagen, vorgesehen. Die Verordnung schreibt mindestens einmal jährlich eine Alarmübung vor.

Anzahl, Anordnung, Abmessungen und Beschaffenheit von Fluchtwegen und Notausgängen sind in § 21 ASchG und §§ 16 ff AStV geregelt. Wichtig ist es, die Fluchtwege und Notausgänge freizuhalten, damit sie jederzeit benutzt werden können.

Arbeitgeber:innen müssen für den Brandfall geeignete Löschhilfen, wie Feuerlöscher, Löschwasser, -decken oder -sand, bereitstellen. Falls es im Unternehmen weder Brandschutzbeauftragte, Brandschutzwart:innen noch eine (freiwillige) Betriebsfeuerwehr gibt, sind für die Brandbekämpfung und Evakuierung zuständige Personen zu bestellen. Zu ihren Aufgaben zählen die Alarmierung der Feuerwehr, die Kontrolle, ob im Fall eines Alarms alle Arbeitnehmer:innen die Arbeitsstätte verlassen haben, und die Anwendung der Löschhilfen. Ein Brandschutzkonzept ist nur bei erhöhter Brandgefahr bzw. abhängig von Gebäudegröße und -nutzung erforderlich (§ 25 ASchG, §§ 42 ff AStV).

Schulung und Unterweisung

Für die Prävention von Notfällen und die richtige Reaktion im Ernstfall spielen Schulung und Unterweisung eine zentrale Rolle. „Wer welche Informationen erhalten muss, hängt von der jeweiligen Funktion ab, etwa als Ersthelfer:in oder Brandschutzbeauftragte:r. Neue Arbeitnehmer:innen sollte man schon beim Onboarding mit den wichtigsten Maßnahmen vertraut machen. Auch Leiharbeiter:innen müssen geschult werden“, betont Bruckner. Bei Beschäftigten mit unzureichenden Deutschkenntnissen kann es nötig sein, jemanden zum Übersetzen beizuziehen. Besonders bei digitalen Schulungen muss man sich vergewissern, ob die Lernenden alles verstanden haben.

Wenn jemand in einem unfallgeneigten Betrieb arbeitet und Informationen über das Verhalten bei Notfällen braucht, kann er sich je nach Thema an Sicherheitsfachkraft, Arbeitsmediziner:in, Brandschutzbeauftragte:n oder Sicherheitsvertrauensperson wenden. Der Betriebsrat ist bezüglich Schulung und Unterweisung generell eine gute Anlaufstelle, so Bruckner.

Unfälle im Baugewerbe

Das Baugewerbe liegt bei Arbeitsunfällen im Spitzenfeld. Martin Sonnberger, Leiter des Bereichs Arbeitssicherheit bei der PORR AG, nennt einige typische Herausforderungen: Bei einem Unfall auf einem großen Betriebsgelände braucht man einen Lotsen bzw. eine Lotsin, um die Rettungskräfte zur Unfallstelle zu führen. Wenn der Rettungshubschrauber im Gebirge witterungsbedingt nicht fliegen kann, ist man auf geländegängige Kettenfahrzeuge oder die Bergrettung angewiesen. Finden Bauarbeiten in Bereichen mit Starkstrom statt, muss der Betreiber, z. B. die Energieversorgungsgesellschaft oder die ÖBB, für eine Stromabschaltung jederzeit erreichbar sein.

Bei Tunnelbränden hat es bei PORR in den letzten 20 Jahren keinen einzigen Personenschaden gegeben. „Die Kollegen haben den Tunnel rechtzeitig verlassen oder sich in eine Fluchtkammer, einen Container mit Pressluftflaschen, retten können“, so Sonnberger. In der Fluchtkammer wird die Zeit überbrückt, bis eine sichere Evakuierung möglich ist.

Psychische Notfälle

In Banken, Juweliergeschäften, Trafiken oder Tankstellen besteht ein erhöhtes Risiko für Überfälle. Essenzielle Maßnahmen sind die Installation einer Überwachungskamera und einer Alarmanlage mit Aufschaltung zur Polizei oder zu einem Sicherheitsunternehmen sowie Schulungen für die Arbeitnehmer:innen, die sich keinesfalls durch Gegenwehr selbst in Gefahr bringen sollten.

Nach Bahnunfällen werden Lokführer:innen, aber auch Zugbegleiter:innen oder Verschieber: innen abgelöst und für 72 Stunden bezahlt vom Dienst freigestellt. Adobe Stock / Breizh Atao

Beschäftigte bei der Bahn müssen häufiger als in anderen Branchen mitansehen, wie Personen durch Unfall oder Suizid(versuch) ums Leben kommen bzw. schwer verletzt werden. Das betrifft insbesondere Lokführer:innen, aber auch Zugbegleiter:innen oder Verschieber:innen. Sie werden nach einem derartigen Vorfall abgelöst und für 72 Stunden bezahlt vom Dienst freigestellt. Der Anstoß für diese Regelung, die 2020 durch eine Novellierung des Eisenbahngesetzes erfolgte, kam von der AK, der Gewerkschaft vida, Betriebsräten und Betriebsrätinnen. Bahnangestellte sind oft auch verbalen oder körperlichen Angriffen durch Fahrgäste ausgesetzt.

Die Gewalt am Arbeitsplatz nimmt seit Jahren zu. „Vor allem in Gesundheitseinrichtungen und in der Pflege kommt es vermehrt zu Aggressionen. Von sexuellen Übergriffen sind etwa auch Arbeitnehmerinnen in der Gastronomie besonders betroffen“, so die Arbeits- und Organisationspsychologin Johanna Klösch von der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK. Arbeitgeber:innen sind gefordert, vorbeugende Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu setzen, und nicht erst dann, wenn es bereits zu Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz gekommen ist.

Psychosoziale Notfälle sind außergewöhnlich belastende Situationen, die das Potenzial haben, dass man z. B. eine psychische Störung wie eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt.

Johanna Klösch, Arbeits- und Organisationspsychologin von der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien

 

„Psychosoziale Notfälle sind außergewöhnlich belastende Situationen, die das Potenzial haben, dass man z. B. eine psychische Störung wie eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt“, erklärt Klösch. Betroffen kann nicht nur die unmittelbar beteiligte Person sein, etwa ein Unfallopfer, sondern auch bei dem Vorfall Anwesende sowie Personen aus dem sozialen Umfeld wie Angehörige oder Kollegen und Kolleginnen.

Oberstes Ziel der Notfallpsychologie ist es, durch rasche Intervention in der Akutphase psychische oder körperliche Folgeschäden zu verhindern. Analog zur Rettungskette bei Unfällen sollten Unternehmen auch eine psychosoziale Notfallkette installieren und Arbeitnehmer:innen zur Betreuung der Betroffenen schulen; ein Angebot dafür gibt es z. B. von der AUVA. Ausgebildete psychosoziale Helfer:innen erkennen typische Reaktionen nach einem traumatischen Ereignis und unterstützen Betroffene, bis ein professioneller Notfallpsychologe bzw. eine professionelle Notfallpsychologin eintrifft. Auch bei psychosozialen Notfällen müsse der Schwerpunkt jedoch auf der Prävention liegen, betont Klösch.

Die Unternehmen sind gefordert, sich auf die unterschiedlichen Notfälle vorzubereiten, sie durch geeignete Präventionsmaßnahmen zu vermeiden und, falls doch etwas passiert, rasch und richtig zu reagieren.

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Magazin Gesunde Arbeit 2/2025, Stamm-Ausgabe