Betriebliche Mitbestimmung zahlt sich aus
In Betrieben mit starker Mitbestimmung sind die Arbeitsbedingungen tendenziell besser als in Betrieben ohne Mitbestimmung. Betriebsräte und Sicherheitsvertrauenspersonen setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen ein und sorgen für mehr Gesundheit und Sicherheit im Betrieb.
Wie steht es eigentlich um die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen in Österreich? Das verrät die Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2020. Die Befragungen haben ergeben, dass rund 86,4 Prozent aller Erwerbstätigen am Arbeitsplatz zumindest einem körperlichen und/oder psychischen Risikofaktor ausgesetzt sind. Überanstrengung der Augen, sich wiederholende Handbewegungen, schmerzhafte Arbeitshaltungen, Zeitdruck, Arbeitsüberlastung und Stress sind nur einige Beispiele krank machender Arbeitsbedingungen. Besonders ins Gewicht fällt dabei der zu hohe Arbeitsdruck, der über alle Branchen hinweg immer weiter zunimmt.
Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen
Zu viele Arbeitnehmer:innen bezahlen diese schlechten Arbeitsbedingungen mit ihrer Gesundheit. Zudem ziehen arbeitsbedingte Erkrankungen eine wahre Kostenlawine nach sich: In Österreich entstehen laut WIFO-Studien jährlich 2,8 Milliarden Euro Kosten durch arbeitsbedingte Erkrankungen aufgrund körperlicher Arbeitsbelastung sowie 3,3 Milliarden Euro aufgrund psychischer Belastungen. Die jährlichen Kosten durch alle Krankenstände belaufen sich auf 12,7 Milliarden Euro. 2020 veröffentlichte das WIFO eine Studie, die Gesamtkosten von 9,9 Milliarden Euro für Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen im Jahr 2015 errechnete – das sind rund 2.400 Euro pro erwerbstätiger Person.
Mitbestimmung fördert die Gesundheit
Arbeit darf nicht krank machen. Doch was kann gegen ungesunde und schlechte Arbeitsbedingungen getan werden? Fakt ist: Es besteht ein Zusammenhang zwischen Gesundheit und Mitbestimmung im Betrieb. „Wir wissen aus Umfragen, dass die Arbeitsbedingungen, aber auch die Einkommen in Betrieben mit starker Mitbestimmung besser sind“, betont Renate Anderl, AK-Präsidentin. Ebenso werden Gefahren am Arbeitsplatz reduziert und Gesundheitsrisiken minimiert, wenn Betriebsrät:innen, Personalvertretungen und Sicherheitsvertrauenspersonen wirkungsvoll mitbestimmen können. Und das wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen aus.
Auch die vom Meinungsforschungsinstitut IFES veröffentlichte Studie „Betriebliche Mitbestimmung 2022“ bestätigt, dass die Arbeitsbedingungen dort besser und gesünder sind, wo Betriebsräte tätig sind. Gibt es in einem Unternehmen einen Betriebsrat, sind beispielsweise die Beschäftigungsverhältnisse stabiler, Arbeitnehmer:innen sind seltener von prekären Verhältnissen betroffen und gute Rahmenbedingungen wirken gegen Druck und Belastungen am Arbeitsplatz. Für Menschen ist es entscheidend, ihre Arbeit zu verstehen, einen Sinn darin zu sehen und die Arbeit bewältigen, strukturieren und gestalten zu können. Für den Soziologen Bernhard Badura zählt das Ausmaß persönlicher Beteiligung an der systemischen Willensbildung und Entscheidungsfindung („Partizipation“) als ein wesentliches Merkmal gesunder Organisationen.
Mitbestimmungsrechte
Doch was genau wird unter der Partizipation verstanden? Welche Mitbestimmungsrechte haben Sicherheitsvertrauenspersonen und die Mitglieder des Betriebsrats?
Laut Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) ist es die Aufgabe des Betriebsrates, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Dafür werden ihm vom Gesetzgeber umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt. Zu seinen Befugnissen zählen unter anderem die Überwachung (Einhaltung der Rechtsvorschriften durch den Arbeitgeber), Intervention (Beantragung von Maßnahmen und Beseitigung von Mängeln), Information (Auskunftsrecht über alle Angelegenheiten, die wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche und kulturelle Interessen der Arbeitnehmer:innen im Betrieb berühren), Beratung (zumindest vierteljährliche Beratung des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat) sowie Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes.
Sicherheitsvertrauenspersonen beraten und unterstützen Arbeitgeber:innen, die Beschäftigten und Belegschaftsorgane (Betriebsrat, Behinderten- und Jugendvertrauenspersonen) in Fragen von Sicherheit und Gesundheitsschutz. In der Ausübung ihrer Aufgaben sind Sicherheitsvertrauenspersonen weisungsfrei und der/die Arbeitgeber:in hat sicherzustellen, dass sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben sowohl die Arbeitszeit als auch die erforderlichen Behelfe und Mittel zur Verfügung gestellt bekommen.
Eine im Frühjahr 2023 vom IFES und der Arbeiterkammer Wien durchgeführte Befragung von 483 Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) hat jedoch ergeben, dass 28 Prozent der SVP mit Zeitmangel zu kämpfen haben. Das entspricht einer Verdopplung gegenüber den Angaben von 2015. Um ihre Mitbestimmungsrechte sicherzustellen und die Rolle der SVP zu stärken, fordern Arbeiterkammer und Gewerkschaft mehr Zeit für die Erfüllung ihrer Funktion sowie einen Kündigungsschutz.
Zusammen stark
Betriebsräte und Sicherheitsvertrauenspersonen ergänzen und unterstützen sich gegenseitig. Das macht sie zu wichtigen Akteur:innen im Einsatz für gute Arbeitsbedingungen. Der Schlüssel zum Erfolg im guten Arbeitnehmer:innenschutz liegt in der Zusammenarbeit und in einer guten Gesprächsbasis. Denn zusammen sind sie stark und bilden ein innerbetriebliches Netzwerk für den Arbeitnehmer:innenschutz, da sie mit den Gegebenheiten des Unternehmens vertraut sind, Kontakt zu den Kolleg:innen pflegen und so zu geeigneten Problemlösungen beitragen können.
Mitbestimmung – so gehtʼs
Wie gute Mitbestimmung in der Praxis aussehen kann, zeigt die Erfolgsstory des Kuratoriums für Psychosoziale Dienste in Wien (PSD). Hier wird die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Sicherheitsvertrauenspersonen großgeschrieben. So sind die Sicherheitsvertrauenspersonen beispielsweise bei den Betriebsversammlungen anwesend und erhalten dort ein Zeitfenster, um über aktuelle Themen und Projekte zu sprechen und um Rückmeldungen aus der Belegschaft einholen zu können, berichtet Betriebsratsvorsitzende Vivian Fletzer. Der Austausch mit den Kolleg:innen und die Informationsweitergabe hat bei der Arbeit der Sicherheitsvertrauenspersonen einen großen Stellenwert. Dabei legt Judith Früh, SVP-Vorsitzende, Ergotherapeutin sowie Präventions- und Ergonomie-Beauftragte, viel Wert auf den Servicecharakter der Informationen. Statt bloß eine Broschüre auszuteilen, zeigte sie zum Beispiel in einer Betriebsversammlung, wie man einen Bürosessel richtig einstellt. Das wurde von allen – auch der Geschäftsführung – so gut angenommen, dass sie zudem einen Film darüber drehen konnte, der für alle Kolleg:innen des Psychosozialen Dienstes abrufbar ist. Der Rückhalt der Geschäftsführung zeigt sich auch darin, dass Judith Früh sechs Wochenstunden für ihre SVP-Rolle zur Verfügung stehen, in denen sie unter anderem Arbeitsergonomie-Beratungen vor Ort anbieten kann.
Zusammenarbeit, respektvoller und wertschätzender Umgang, transparente Kommunikation und geballtes Engagement sind das A und O in der Arbeit der Betriebsrät:innen und Sicherheitsvertrauensperson der PSD. „Wir sind keine Schnittstelle, sondern eine Nahtstelle“, berichtet Früh. Es geht darum, gemeinsam Lösungen zu finden, Schritt für Schritt an Verbesserungen zu arbeiten und kontinuierlich dranzubleiben. „Das wichtige Wort ist gemeinsam“, betont Fletzer.
Arbeitnehmer:innenschutz vorantreiben
Neben Betriebsräten und Sicherheitsvertrauenspersonen, die vor Ort im Betrieb tätig sind, tragen Gewerkschaften und Arbeiterkammern mit ihren vielfältigen Beratungs- und Serviceangeboten zu mehr Sicherheit und Gesundheit in der Arbeit bei. Sie treten gemeinsam für eine menschengerechte, gesunde und sichere Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsumgebung sowie der Arbeitsorganisation ein. Zudem engagieren sie sich auch auf europäischer Ebene in vielen Netzwerken mit dem Ziel, den Arbeitnehmer:innenschutz EU-weit voranzutreiben.
Das fordern Arbeiterkammern und Gewerkschaften im Arbeitnehmer:innenschutz:
Mehr Ressourcen für die Arbeitsinspektion als „Polizei der Arbeitswelt“
Um die Schutzgesetze besser zu überwachen, sind mindestens 50 Arbeitsinspektor:innen mehr notwendig. Arbeitgeber:innen, die die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen leichtfertig aufs Spiel setzen, sind streng zu bestrafen.
Etablierung von Arbeits- und Organisationspsycholog:innen
Arbeits- und Organisationpsycholog:innen müssen aufgewertet und als dritte Präventivfachkraft etabliert werden. Sie helfen, arbeitsbedingte psychische Erkrankungen zu vermeiden.
Manuelle Handhabung von Lasten wirksam regeln
Schaffung einer rechtlichen Regelung (Durchführungsverordnung) zur manuellen Handhabung von Lasten samt verbindlicher Obergrenzen für das Bewegen von Lasten.
Wissenschaftlich aktuelle und risikobasierte Grenzwerte
Die Arbeiterkammer tritt bei gesundheitsschädigenden Arbeitsstoffen für einen raschen Umstieg von TRK-Werten (technische Richtkonzentration; Mittelwerte) auf risikobasierte Grenzwerte ein.
Schutz vor Hitze am Arbeitsplatz
Abgestufte Schutzmaßnahmen ab 25 Grad Celsius in Innenräumen und bei Arbeiten im Freien sind wegen klimakrisenbedingtem Anstieg der sommerlichen Hitze dringend erforderlich. Bei sehr großer Hitze muss es bezahlt Hitzefrei geben.
Erweiterung der Präventionskompetenz der AUVA
Moderne Präventionsstrategien folgen einem ganzheitlichen Ansatz. Erweiterung des gesetzlichen Präventionsauftrages der AUVA über das jeweilige Unfallgeschehen hinaus – auch bei arbeitsbedingten Erkrankungen.
Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 1/2024