Renate Anderl: „Wir müssen runter mit der Arbeitszeit!“
Sichere und gesunde Arbeit für alle Arbeitnehmer:innen – dafür tritt AK-Präsidentin Renate Anderl ein. Um dem massiven Arbeitsdruck und den überlangen Arbeitszeiten entgegenzuwirken, müssen wir runter mit der Arbeitszeit – so ihre Forderung im Gespräch mit Gesunde Arbeit.
Die AK fordert sichere und gesunde Arbeit für alle Arbeitnehmer:innen. Wie steht es aktuell um die Arbeitsbedingungen?
Renate Anderl: Der Druck ist groß, das höre ich bei vielen Betriebsbesuchen, und das sagen uns auch die Zahlen: 1,5 Millionen Arbeitnehmer:innen können sich nicht vorstellen, bis zur Pension im aktuellen Job zu bleiben. Ziel muss es sein, dass die Arbeit so gestaltet ist, dass sie nicht krank macht. Vor allem bei Frauen gibt es großen Handlungsbedarf: So wissen wir zum Beispiel, dass fast jede dritte Frau nicht direkt aus einer Arbeit in die Pension geht, sondern aus anderen Gründen, wie z. B. Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Oder sprechen wir über den Bereich der Teilzeitarbeit: Hier arbeiten viele Arbeitnehmer:innen praktisch Vollzeit. Sie können allerdings nicht selbst wählen, wann sie die Überzeit als Freizeit konsumieren, sondern werden dann vom Betrieb heimgeschickt, wenn sie gerade nicht gebraucht werden. Und die zusätzlichen Stunden werden ihnen auch nie ausbezahlt. Es gibt also sehr viel zu tun!
Welche Hebel gibt es, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Renate Anderl: Ich sehe mehrere Hebel: Einerseits müssen wir runter mit den hohen Arbeitszeiten, wir sind bei überlangen Arbeitszeiten und Überstunden Europameister. Da ist der Gesetzgeber gefragt. Und es sind auch die Betriebe in der Verantwortung. Sie können nicht über fehlende Arbeitskräfte jammern, aber die Arbeitsbedingungen nicht verbessern, das geht sich nicht aus. Ganz wichtig ist auch die Mitbestimmung durch Betriebsräte und Personalvertretungen. Wir wissen aus Umfragen, dass sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Einkommen in Betrieben mit starker Mitbestimmung besser sind.
Welche Rolle haben dabei die jeweiligen Akteur:innen?
Renate Anderl: Belegschaftsvertretungen und Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) sind im jeweiligen Betrieb die Expert:innen, was die Arbeitsbedingungen betrifft. Sie haben das Ohr an den Anliegen der Kolleg:innen, und sie sind deren Stimme gegenüber den Geschäftsführungen – gemeinsam mit uns in der Arbeiterkammer und mit den Gewerkschaften.
Der Arbeitsdruck hat über alle Branchen hinweg weiter zugenommen – wie kann man diesem am besten entgegenwirken?
Renate Anderl: Wir stecken in einem Arbeitszeitmodell – der gesetzlichen 40-Stunden-Woche – fest, das fast 50 Jahre auf dem Buckel hat, wobei die Kolleg:innen jetzt wesentlich mehr in der gleichen Zeit arbeiten. Wir müssen dringend über kürzere Arbeitszeiten reden – diese Abwehrhaltung der Unternehmensvertretungen ist nicht akzeptabel und geht zulasten der Beschäftigten. Ich möchte mich nicht auf eine bestimmte Stundenanzahl für alle Betriebe festlegen, das muss man sich für die jeweiligen Branchen gut anschauen. Wichtig wäre im ersten Schritt einmal, flächendeckend auf die 38,5 Stunden zu reduzieren. Fakt ist jedenfalls: Viele Betriebe haben schon kürzere Normalarbeitszeiten, es gibt da ganz viele verschiedene Modelle. Und diese Betriebe sind nicht eingegangen, im Gegenteil: In einem Betrieb in Oberösterreich sind dann plötzlich die Bewerbungen nur so eingetrudelt, das Klima hat sich verbessert, die Motivation ebenso, die Produktivität ist gestiegen und die Krankenstände sind gesunken. So kann man das machen – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ganz dringend Entlastung.
Stichwort „Personalmangel in der Arbeitsinspektion“ – was muss unternommen werden, damit die Arbeitsinspektion auch in Zukunft ihrer Kontroll- und Beratungstätigkeit in vollem Umfang nachgehen kann?
Renate Anderl: Die Arbeitsinspektor:innen selbst sagen uns immer wieder, dass sie mehr Personal brauchen, um ihre Arbeit gut machen zu können. Die Arbeitsinspektionen sollen sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können: die Kontrolle der Einhaltung von Gesetzen, zeitnahe Nachkontrollen, stärkere Schwerpunktsetzung der Beratung und Kontrolle auf Unfallge¬fahren, Belastungen durch Schwerarbeit, hohen Arbeitsdruck und auch Gewalt am Arbeitsplatz. Die Betriebskontrollen müssen intensiviert werden und es muss zeitnahe Nachkontrollen geben. Mein Ziel wäre, dass jeder österreichische Betrieb gut beraten und jährlich kontrolliert wird.
Was sind künftig die größten Herausforderungen für den Arbeitnehmer:innenschutz?
Renate Anderl: Die Arbeitswelt entwickelt sich rasant weiter – der Arbeitnehmer:innenschutz muss da Schritt halten. Auch auf neue Entwicklungen muss man die Bestimmungen anpassen, Beispiel Klimakrise: Die Auswirkungen sind überall spürbar – natürlich auch an den Arbeitsplätzen. Wenn Hitzesommer jetzt Normalität werden, dann muss man darauf reagieren – mit einem klimafitten Arbeitsrecht und Arbeitnehmer:innenschutz. Auch Entwicklungen wie Digitalisierung, Homeoffice und steigender Arbeitsdruck erfordern neue Maßnahmen. Über den steigenden Arbeitsdruck haben wir schon gesprochen – dieser geht sowohl auf die physische wie auf die psychische Gesundheit. Auch hier muss mehr zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen getan werden – von den Betrieben und auf gesetzlicher Ebene.
Was sind deine Wünsche und Erwartungen in Bezug auf die AK-Wahl im April?
Renate Anderl: Ich wünsche mir vor allem, dass ganz viele Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. In der Arbeiterkammer schreiben wir Demokratie groß, deshalb dürfen bei uns alle AK-Mitglieder wählen, ganz egal, welchen Pass sie haben. Die AK ist die Stimme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Wenn wir wollen, dass ihre Stimme gehört wird, dann muss diese Stimme laut und stark sein. Dafür brauchen wir eine hohe Beteiligung bei den AK-Wahlen in diesem Jahr.
Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 1/2024