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Quiet Quitting: Ein Spiegel von Arbeitswelt und Gesellschaft

Überdurchschnittliches Engagement bis hin zur Selbstausbeutung wird im Job oft als Selbstverständlichkeit gesehen – dies kann auf Dauer verheerende Folgen für die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen haben. Das Phänomen Quiet Quitting hält Arbeitswelt und Gesellschaft einen Spiegel vor.

Adobe Stock / Prostock-studio

Unbezahlte Überstunden, Dauererreichbarkeit, Arbeitsdruck sowie die Vernachlässigung von Privatleben und Erholung gehören für viele Arbeitnehmer:innen zum Alltag. Zunehmend regt sich jedoch Widerstand. Mit dem Phänomen Quiet Quitting erleben wir einen Paradigmenwechsel. Vor allem junge Menschen zeigen der Idee, sich für die Arbeit aufzuopfern, die Rote Karte.

Quiet Quitting trifft Nerv der Zeit

„Du kündigst nicht deinen Job, sondern die Idee, alles für diesen zu geben. Du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber unterwirfst dich nicht mehr der Hustle Culture. Arbeit ist nicht dein Leben. Dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität.“ Mit seinem Video zu Quiet Quitting traf der Tiktok-User Zaid Leppelin den Nerv der Zeit – der Clip ging viral. Viele, oft emotional geführte Diskussionen waren die Folge.
Quiet Quitting beschränkt sich jedoch nicht auf Social-Media-Diskussionen. Laut dem Personaldienstleister Randstad (2023) haben 30 Prozent der befragten Arbeitnehmer:innen in Österreich schon einmal „still gekündigt“. Was ist dran an diesem Trend?

Verabschiedung von Selbstausbeutung

Quiet Quitting ist kein kontraproduktives Verhalten. Der Begriff bedeutet vielmehr, sich von der Mentalität ständiger Selbstausbeutung und von Arbeit, für die es keine oder nur eine geringe Gegenleistung gibt, zu distanzieren. Quiet Quitter sind nicht mehr bereit, die (nicht entlohnte) Extrameile zu gehen – die Arbeit wird erbracht, das Leben völlig dem Job unterzuordnen ist jedoch Tabu.

Quiet Quitting spiegelt auch veränderte Werte wider. Junge Menschen haben heute nicht mehr die gleichen Chancen wie ihre Eltern, für die es durch Arbeit noch möglich war, sich z. B. ein Eigenheim zu schaffen. Lebenssinn wird nicht mehr ausschließlich in der Arbeit gesucht: Der Leitgedanke „Ich arbeite, um zu leben“ rückt – statt „Ich lebe, um zu arbeiten“ – in den Vordergrund. Arbeitszeiten, die Raum für Interessen, Familie und Freundschaften bzw. eine ausgewogene Work-Life-Balance ermöglichen, gewinnen an Bedeutung. Zudem wird überdurchschnittlicher beruflicher Einsatz als Erfolgs- und Glücksgarant vermehrt infrage gestellt. Auch die gefühlte Dauerschleife an Krisen wie Klima, Krieg oder Teuerung führen zum Überdenken persönlicher Werte und Ziele: „Was ist tatsächlich wichtig in meinem Leben?“

Quiet Quitting hält Arbeitswelt und Gesellschaft einen Spiegel vor. Betriebe und Politik sind gefordert, sich der Realität zu stellen und zu handeln – auch im Kontext des Fachkräftemangels: Faire, gesunde Arbeitsbedingungen, eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung sowie die leichtere Erreichbarkeit der 6. Urlaubswoche stellen hierbei zentrale Stellschrauben dar.

Magazin Gesunde Arbeit, Ausgabe 1/2024